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0865 - Swiss Steel Holding AG
Verfügung 865/01 vom 8. März 2024
Gesuch von Swiss Steel Holding AG sowie Martin Haefner und BigPoint Holding AG betreffend die Gewährung einer Sanierungsausnahme von der Angebotspflicht bezüglich Swiss Steel Holding AG
A.
Swiss Steel Holding AG (ehemals Schmolz + Bickenbach AG; die Gesellschaft oder Swiss Steel und zusammen mit ihren Tochtergesellschaften die Swiss Steel Group) ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Luzern (HR-Firmennummer CHE-101.417.171). Zweck der Gesellschaft sind Erwerb, Verwaltung und Veräusserung von Beteiligungen, insbesondere im Stahlbereich, Beteiligungen an Handels-, Industrie- und Dienstleistungsunternehmen sowie an Holdinggesellschaften im In- und Ausland und Erwerb, Belastung und Veräusserung von Grundeigentum. Das Aktienkapital der Gesellschaft beträgt CHF 458'828'620.65 und ist eingeteilt in 3'058'857'471 Namenaktien mit einem Nennwert von je CHF 0.15 (die Swiss Steel-Aktien). Swiss Steel verfügt weder über ein Kapitalband noch ein bedingtes Kapital. Die Swiss Steel-Aktien, deren Börsenkurs zurzeit unter dem Nennwert bei (aufgerundet) CHF 0.09 liegt, sind an der SIX Swiss Exchange kotiert (Symbol: STLN; ISIN: CH0005795668; Valorennummer: 579566).
Die Statuten von Swiss Steel enthalten im Zeitpunkt der vorliegenden Verfügung weder eine Opting out- noch eine Opting up-Bestimmung.
B.
Gemäss der Datenbank der SIX Exchange Regulation betreffend bedeutende Aktionäre halten per 8. März 2024 folgende Aktionäre bedeutende Beteiligungen an Swiss Steel:
-
- Seit dem 15. Juni 2023 hält Martin Haefner indirekt über BigPoint Holding AG als wirtschaftlich berechtigte Person i.S.v. Art. 10 Abs. 1 FinfraV-FINMA 1'001'284'739 Swiss Steel-Aktien, was 32.73% der Stimmrechte von Swiss Steel entspricht.
- Seit dem 9. März 2021 hält die Aktionärsgruppe bestehend aus Liwet Holding AG und ComplexProm Joint Stock Company als wirtschaftlich berechtigte Person i.S.v. Art. 10 Abs. 1 FinfraV-FINMA 507'123'333 Swiss Steel-Aktien, was 25.00% der Stimmrechte von Swiss Steel entspricht.
- Seit dem 15. Juni 2023 hält Peter Spuhler indirekt über PCS Holding AG als wirtschaftlich berechtigte Person i.S.v. Art. 10 Abs. 1 FinfraV-FINMA 622'676'856 Swiss Steel-Aktien, was 20.36% der Stimmrechte von Swiss Steel entspricht.
- Seit dem 15. Juni 2023 hält Martin Haefner indirekt über BigPoint Holding AG als wirtschaftlich berechtigte Person i.S.v. Art. 10 Abs. 1 FinfraV-FINMA 1'001'284'739 Swiss Steel-Aktien, was 32.73% der Stimmrechte von Swiss Steel entspricht.
C.
Mit Verfügung des Übernahme- und Staatshaftungsausschusses der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht FINMA vom 6. Dezember 2019 in Sachen Schmolz + Bickenbach AG et al. (Verfügung der FINMA vom 6. Dezember 2019) wurde Martin Haefner und der zu 100% von diesem kontrollierten BigPoint Holding AG im Zusammenhang mit der Durchführung der am 2. Dezember 2019 beschlossenen Kapitalherabsetzung und gleichzeitigen Kapitalerhöhung der Schmolz + Bickenbach AG eine Ausnahme von der Angebotspflicht nach Art. 136 Abs. 1 lit. e FinfraG gewährt (Verfügung der FINMA vom 6. Dezember 2019, Dispositiv-Ziff. 2). Die damalige Sanierungsausnahme wurde unter der Auflage erteilt, dass Martin Haefner und BigPoint Holding AG ein Pflichtangebot nach Art. 135 FinfraG unterbreiten müssen, sofern am 31. Dezember 2024 ihre Beteiligung (direkt, indirekt oder in gemeinsamer Absprache mit Dritten) noch über dem Grenzwert von 33⅓% der Stimmrechte an der Schmolz + Bickenbach AG (ob ausübbar oder nicht) liegt (die Auflage; Verfügung der FINMA vom 6. Dezember 2019, Dispositiv-Ziff. 3).
D.
Im Rahmen einer ad hoc-Mitteilung im Sinne von Art. 53 KR gab Swiss Steel am 19. Juni 2023 bekannt, dass sie darüber informiert worden sei, dass die von Martin Haefner kontrollierte BigPoint Holding AG einen Anteil von 8.07% an Swiss Steel an die von Peter Spuhler kontrollierte PCS Holding AG veräussert habe. In der ad hoc-Mitteilung vom 19. Juni 2023 heisst es weiter, dass mit der Reduzierung des Anteilsbesitzes der BigPoint Holding AG an Swiss Steel die Auflage für Martin Haefner und die BigPoint Holding AG entfalle, ein Pflichtangebot zu unterbreiten, falls der Stimmrechtsanteil des grössten Aktionärs bis zum 31. Dezember 2024 nicht unter 33⅓% reduziert wurde.
E.
Am 26. Februar 2024 reichten Swiss Steel sowie Martin Haefner und BigPoint Holding AG (zusammen die Gesuchsteller) ein Gesuch (inklusive Sanierungsgutachten sowie weiterer Beilagen) bei der Übernahmekommission (UEK) ein (das Gesuch vom 26. Februar 2024) und stellten gestützt auf Art. 136 Abs. 1 lit. e FinfraG und Art. 61 UEV die folgenden Anträge:
«1. Es sei Martin Haefner und den von ihm kontrollierten Gesellschaften, einschliesslich BigPoint Holding AG, im Zusammenhang mit der in diesem Gesuch beschriebenen Kapitalerhöhung eine Ausnahme von der Angebotspflicht gemäss Art 136 Abs. 1 lit. e FinfraG ohne Auflagen zu gewähren.
2. Die Publikation der Verfügung der Übernahmekommission sei aufzuschieben bis zur öffentlichen Ankündigung der Kapitalerhöhung durch die Swiss Steel Holding AG.»
Auf die Begründung dieser Anträge wird soweit erforderlich in den Erwägungen eingegangen.
F.
Im Rahmen ihres Gesuchs vom 26. Februar 2024 erläuterten die Gesuchsteller im Hinblick auf die im Zusammenhang mit der beabsichtigten Kapitalerhöhung beantragte Sanierungsausnahme das Sanierungskonzept der Swiss Steel im Sinne von UEK-Rundschreiben Nr. 5: Sanierungsausnahme / Sanierungskonzept der Zielgesellschaft (nachfolgend das UEK-RS Nr. 5; das Sanierungskonzept der Swiss Steel nachfolgend das Sanierungskonzept).
Das Sanierungskonzept stützt sich u.a. auf ein zwecks Beurteilung der Sanierungsfähigkeit der Swiss Steel Group sowie zwecks Überprüfung der gewählten Sanierungsmassnahmen eingeholtes Sanierungsgutachten, welches zum Schluss kommt, dass die Swiss Steel Group mit überwiegender Wahrscheinlichkeit sanierungsfähig ist und eine positive Fortführungsprognose besteht, sofern die im Sanierungsgutachten beschriebenen Sanierungsmassnahmen umgesetzt werden.
Konkret stellt sich das der UEK durch die Gesuchstellerin vorgelegte Sanierungskonzept wie folgt dar (kursiv wiedergegeben; Hervorhebungen nicht im Original):
1. | Geschäftslage und Marktsituation [i.S.d. Anforderungen von UEK-RS Nr. 5, Rn2] |
[…]
Trotz des im Jahr 2019 eingeleiteten Sanierungs- und Restrukturierungsprogramms und der im Januar 2020 und März 2021 durchgeführten Kapitalerhöhungen von CHF 325 Mio. und CHF 247 Mio. befindet sich die Swiss Steel Group in einer äusserst angespannten finanziellen Lage. Die Ursachen dafür sind namentlich auf das schlechte wirtschaftliche Umfeld in der Automobilbranche und im Maschinen- und Anlagebau zurückzuführen.
Das Geschäftsumfeld der Swiss Steel Group hat sich im Jahr 2022 durch die sinkende Nachfrage in den beiden wichtigsten Kundensegmenten, der Automobilindustrie und dem Maschinen- und Anlagenbau, des Krieges in der Ukraine, anhaltender Lieferkettenprobleme aufgrund der Marktabschottungen in China sowie steigender Energiepreise in Europa erheblich eingetrübt. Ausserdem ereignete sich im Januar 2022 in einem Stahlwerk der Tochterfirma Ugitech (in Ugine, Frankreich) ein Unfall, der zu einem Betriebsunterbrechungsschaden von EUR 88 Mio. und Sachschaden von rund EUR 15 Mio. führte. Die Versicherung weigerte sich bislang für den Schaden aufzukommen.
[…]
Die hohen und volatilen Rohstoff- und Energiepreise im zweiten Halbjahr 2022 und ersten Halbjahr 2023 führten zu erheblichen Verwerfungen. Steigende Energiepreise schlugen sich direkt in höheren Produktionskosten nieder. Auch führten die hohen Rohstoff- und Energiepreise zu einem drastischen Anstieg des Nettoumlaufvermögens (Net Working Capital) und einer hohen Kapitalbindung, was wiederum zur Folge hatte, dass Kapital nicht mehr als Liquidität zur Verfügung stand. Entsprechend sah sich die Gesellschaft aus Liquiditätsgründen gezwungen, die Produktion zu drosseln und das Nettoumlaufvermögen zurückzufahren. In der Folge konnten die Produktionswerke nicht voll ausgelastet werden und die Gesellschaft büsste erheblich an Wettbewerbsfähigkeit ein. Gleichzeitig belastete eine sich weiter abschwächende Nachfrage den Auftragseingang. Die fehlenden Produktionsvolumen führten, typisch für eine anlagen- und fixkostenintensive Industrie, zu einem Ergebniseinbruch. Die Gesellschaft meldete deshalb für das erste Halbjahr 2023 einen Rückgang der Absatzmenge um 19% und einen Rückgang des Umsatzes um 13%. Das Reinergebnis sank im ersten Halbjahr 2023 auf EUR -30.0 Mio. (gegenüber EUR 74.0 Mio. im ersten Halbjahr 2022).
[…]
In der zweiten Jahreshälfte 2023 führte die wirtschaftliche Abschwächung zu einem verstärkten Nachfragerückgang der Autoindustrie und der Maschinenindustrie. Die Swiss Steel Group verkaufte im zweiten Halbjahr 2023 insgesamt 14.7% weniger Stahl als in der zweiten Jahreshälfte 2022, was eine Kapazitätsauslastung deutlich unterhalb der Gewinnschwelle bedeutete. In der Medienmitteilung vom 18. September 2023 hatte die Gesellschaft deshalb eine Gewinnwarnung veröffentlicht und den Ausblick für das Geschäftsjahr 2023 vollständig zurückgenommen. Trotz ergriffener Gegenmassnahmen erzielte die Swiss Steel Group in der zweiten Jahreshälfte 2023 einen Reinverlust von EUR 265 Mio. Das Gesamtergebnis 2023 zeigt einen Jahresverlust von EUR 295 Mio.
[…]
In Reaktion auf die schwierige Lage prüft die Gesellschaft laufend die Veräusserung von Geschäftsteilen. So konnten im Jahr 2023 der Verkauf von Vertriebsgesellschaften in Osteuropa und die Aufnahme von exklusiven Verhandlungen über den Verkauf mehrerer Produktionsstätten in Frankreich bekannt gegeben werden. Sodann wurde im Januar 2024 ein Kaufvertrag in Bezug auf ein Grundstück in Düsseldorf im Rahmen einer Sale and Lease Back-Transaktion mit einem erwarteten Verkaufserlös von EUR 73.5 Mio. abgeschlossen. Weitere Verkäufe von Geschäftsteilen, insbesondere der Verkauf der Finkl-Gruppe (USA), werden angestrebt, sind aber mit Unsicherheiten verbunden. Die Erlöse aus solchen Verkäufen fliessen allerdings direkt an die Kreditgeber.
[…]
Die aktuelle finanzielle Situation der Gesellschaft ist überaus angespannt. Die Swiss Steel Group verfügt per 31. Dezember 2023 auf konsolidierter Basis über flüssige Mittel in Höhe von EUR 55 Mio. und Eigenkapital in Höhe von EUR 234 Mio. Dem stehen per 31. Dezember 2023 kurzfristiges Fremdkapital von EUR 875 Mio. (wovon EUR 309 Mio. auf kurzfristige Finanzverbindlichkeiten entfallen) und langfristiges Fremdkapital von EUR 824 Mio. (wovon EUR 574 Mio. auf langfristige Finanzverbindlichkeiten entfallen) gegenüber. Daraus resultiert eine Nettoverschuldung per 31. Dezember 2023 von EUR 829 Mio. (gerundet). Die Eigenkapitalquote der Gesellschaft ist aufgrund der hohen Verluste im zweiten Halbjahr 2023 massiv gesunken und beträgt bei einer Bilanzsumme von EUR 1'933 Mio. nur gerade 12.1%. Dies entspricht einem Verschuldungsgrad von rund 725% bzw. 7.2 : 1. Gemäss dem Bundesamt für Statistik haben gesunde Unternehmen im Bereich der Metallerzeugung und Herstellung von Metallerzeugnissen eine Eigenkapitalquote zwischen 36% und 52.1%.
[…]
Die nachfolgende Grafik zeigt jeweils per Ende der letzten zwölf Quartale auf konsoli-dierter Basis die Entwicklung des Eigenkapitals und der Nettoverschuldung (EUR).
[…]
Die Gesellschaft weist per 31. Dezember 2023 auf konsolidierter Basis kurz- und langfristige Finanzverbindlichkeiten in Höhe von EUR 883 Mio. aus. Diese Finanzverbindlichkeiten setzen sich wie folgt zusammen:
- | ein revolvierender Konsortialkredit von EUR 435 Mio. – davon sind per 31. Dezember 2023 EUR 368 Mio. beansprucht; |
- | eine revolvierende Kreditfazilität von BigPoint Holding AG von EUR 100 Mio. – davon sind per 31. Dezember 2023 EUR 60 Mio. beansprucht; |
- | ein vollständig beanspruchtes Aktionärsdarlehen von BigPoint Holding AG in Höhe von EUR 95 Mio.; |
- | ein Asset Backed Securities (ABS) Programm mit Umfang von rund EUR 300 Mio. – davon sind per 31. Dezember 2023 EUR 186 Mio. beansprucht, was der maximalen effektiven Beanspruchung auf Basis der zu dem Zeitpunkt ankaufsfähigen Kundenforderungen entspricht; |
- | öffentliche Finanzierungen diverser Tochtergesellschaften in Höhe von EUR 109 Mio.; |
- | Leasingverbindlichkeiten in Höhe von EUR 70 Mio.; |
- | abzüglich aktivierte Transaktionskosten und Bewertungseffekte nach IFRS in Höhe von EUR 5 Mio. |
Der revolvierende Konsortialkredit der Gesellschaft von EUR 435 Mio. und das ABS-Programm von rund EUR 298 [recte: 300] Mio. enthalten Zusicherungen (Covenants) in Form von Minimalschwellen in Bezug auf die Net Debt/EBITDA-Ratio (3.75x) und das konsolidierte Eigenkapital (EUR 300 Mio.). Über Gleichbehandlungsklauseln gelten diese Covenants auch für die Kreditfazilität von EUR 100 Mio. und das Aktionärsdarlehen von EUR 95 Mio. von BigPoint Holding AG. Bei einem bereinigten Jahresverlust (auf Stufe EBITDA) per 31. Dezember 2023 von EUR 41 Mio. ist die Net Debt/EBITDA-Ratio negativ. Das Eigenkapital beträgt per 31. Dezember 2023 EUR 234 Mio. Damit hat die Swiss Steel Group die beiden Covenants per 31. Dezember 2023 deutlich verletzt.
Eine Verletzung der Covenants berechtigt die Banken unter dem revolvierenden Konsortialkredit und dem ABS-Programm sowie BigPoint Holding AG unter der Kreditfazilität und dem Aktionärsdarlehen dazu, die ausstehenden Kredite von insgesamt EUR 709 Mio. zu kündigen (BigPoint Holding AG und die kreditgebenden Banken zusammen die [Kreditgeber]). Die Kündigung der Kredite in diesem Umfang hätte die sofortige Insolvenz der Swiss Steel Group zur Folge. Sie ist deshalb darauf angewiesen, dass die Kreditgeber auf die Geltendmachung ihrer Kündigungsrechte unter den Kreditverträgen verzichten.
Die Kreditgeber haben temporär auf die Geltendmachung ihrer Kündigungsrechte verzichtet (Temporary Waiver). Diese Temporary Waiver sind an die Bedingung geknüpft, dass sich die Gesellschaft kurzfristig zusätzliche Mittel zur Stärkung des Eigenkapitals beschafft. Nach dem aktuellen Stand der Verhandlungen mit den jeweiligen Kreditgebern zur Rekapitalisierung der Gesellschaft, welche im Zeitpunkt des vorliegenden Gesuchs vom 26. Februar 2024 andauern, soll die Bilanz durch eine Kapitalerhöhung gestärkt werden; eine Alternative zu einer Kapitalerhöhung, etwa in Form von nachrangigen (Aktionärs-)Darlehen, besteht nicht. Die Kreditgeber würden im Gegenzug auf die Geltendmachung ihrer Kündigungsrechte verzichten und einer Verlängerung ihrer Kredite bis September 2028 zustimmen.
[…]
Die flüssigen Mittel der Swiss Steel Group betragen per 31. Dezember 2023 bei einer Bilanzsumme von insgesamt EUR 1'933 Mio. noch EUR 55 Mio. Werden zu den flüssigen Mitteln die Beträge hinzugerechnet, die unter den bestehenden Kreditlinien nicht gezogen sind, ergibt sich eine verfügbare Liquidität per 31. Dezember 2023 von CHF 151 Mio. Auch mit Bezug auf die Liquidität haben sich die Konsortialbanken im Temporary Waiver bereit erklärt, ab 1. Januar 2024 die obere Minimalschwelle auf EUR 80 Mio. und die untere Minimalschwelle auf EUR 50 Mio. zu reduzieren. Die Liquiditätsplanung der Gesellschaft für das laufende Jahr zeigt, dass ohne die geplante Kapitalerhöhung spätestens im Mai 2024 die Zahlungsunfähigkeit eintritt […].
[…]
Die prekäre Geschäfts- und Finanzlage der Swiss Steel Group zeigt sich auch in der Aktienkursentwicklung. Nach der Kapitalerhöhung im März 2021 stieg der Kurs im Juni 2021 auf CHF 0.48. Im Vergleich dazu steht der aktuelle Kurs von CHF 0.09 bei -80%. Es ist offensichtlich, dass im aktuellen Kurs die Möglichkeit einer Insolvenz eingepreist ist.
2. | Liquiditätsplanung und Sanierungsbedarf [i.S.d. inhaltlichen Anforderungen von UEK-RS Nr. 5, Rn3] |
[…]
Ohne die geplante Kapitalerhöhung tritt im Mai 2024 die Zahlungsunfähigkeit ein (verfügbare Liquidität ≤ EUR 0), wie die nachfolgende Grafik zeigt:
Tatsächlich tritt die Zahlungsunfähigkeit aber bereits ab einer verfügbaren Liquidität von rund EUR 50 Mio. ein. Dieser Betrag entspricht dem operativen Cash-Bestand, der approximativ nötig ist, um die betriebsnotwendige Liquidität im Konzern sicherzustellen. Bei Unterschreiten dieses Betrags ist das Cash Management im Konzern nicht mehr steuerbar. Darin nicht berücksichtigt sind die negativen Effekte auf Lieferantenverpflichtungen ab dem Zeitpunkt, ab dem Lieferanten oder Kreditversicherer mit der Zahlungsunfähigkeit der Swiss Steel Group rechnen.
Der starke bevorstehende Liquiditätseinbruch im Mai 2024 ist auf die Fälligkeit des bereits mehrfach verlängerten, revolvierenden Kredits der BigPoint Holding AG zurückzuführen, der am 2. Mai 2024 zur Rückzahlung fällig wird, wodurch die verfügbare Liquidität nachhaltig um EUR 100 Mio. reduziert wird. Darüber hinaus wird die verfügbare Liquidität im ersten Halbjahr 2024 durch den saisonalen Aufbau von Nettoumlaufvermögen (Net Working Capital) belastet. Verstärkt wird dieser Effekt durch das höhere geplante Aktivitätsniveau im zweiten Quartal 2024, welches sich aus der derzeit abzeichnenden moderaten Markterholung ergibt.
Der Liquiditätseinbruch ist nicht temporärer Natur. Vielmehr bleibt die verfügbare Liquidität – mit Ausnahme eines saisonal bedingten Ausreissers aufgrund von Produktionsunterbrüchen für Unterhaltungsarbeiten im Sommer – deutlich und langfristig negativ.
Die minimal erforderliche Liquidität der Gesellschaft wird gegenwärtig durch verschiedene Massnahmen im Kreditorenmanagement und durch die Drosselung der Produktion gestützt. Diese cash-orientierte Unternehmenssteuerung kann die Zahlungsunfähigkeit allerdings nur wenige Wochen abwenden. Ohne diese Massnahmen wären die temporär angepassten Covenants der Kreditgeber in Bezug auf die Liquidität erneut verletzt worden.
Die Gesellschaft ist in zweifacher Hinsicht dringend auf zusätzliche Liquidität angewiesen: Zum einen tritt ohne die beabsichtigte Kapitalerhöhung spätestens im Mai 2024 die Zahlungsunfähigkeit und damit die sofortige Einstellung aller betrieblichen Aktivitäten der Swiss Steel Group ein. Zum anderen benötigt die Gesellschaft zusätzliche Liquidität, um die Covenants in Bezug auf die minimale operationelle Liquidität einzuhalten. Eine Kündigung der ausstehenden Kredite durch die Kreditgeber hätte wie erwähnt die unmittelbare Insolvenz der Gesellschaft zur Folge.
[…]
Würde keine Aussicht auf Durchführung der beabsichtigten Kapitalerhöhung bestehen, ist die Annahme der Fortführung der Gesellschaft (going concern) unmittelbar nicht mehr gegeben.
[…]
Der Verwaltungsrat der Gesellschaft geht derzeit von einem mittel- bis langfristigen Eigenmittelbedarf von brutto EUR 300 Mio. aus, damit der Gesellschaft wieder genügend liquide Mittel für den Betrieb der Stahlproduktion zur Verfügung stehen und die Covenants der Kreditgeber in Bezug auf das minimale Eigenkapital und die operationelle Liquidität eingehalten werden können. Durch die beabsichtigte Kapitalerhöhung von brutto EUR 300 Mio. würde die Eigenkapitalquote der Gesellschaft auf 27.8% ansteigen.
Ein erheblicher Teil der aufzunehmenden Mittel würde kurzfristig in das Nettoumlaufvermögen (Net Working Capital) der Gesellschaft investiert. Die Investitionen in das Nettoumlaufvermögen sind die Starthilfe, die die Gesellschaft benötigt, um die Stahlproduktion hochzufahren und die Nachfrage der Kunden bedienen zu können.
Eine alternative Finanzierungsmöglichkeit wie die Aufnahme von zusätzlichem Fremdkapital ist aufgrund der desolaten Finanzlage (Verschuldungsgrad von 725%, Eigenkapitalquote von 12.1%, Liquiditätslage) nicht denkbar.
[…]
3. | Sanierungsmassnahmen [i.S.d. inhaltlichen Anforderungen von UEK-RS Nr. 5, Rn4] |
[…]
Die Rekapitalisierung der Gesellschaft soll drei Massnahmen umfassen:
i. | Erstens ist eine Kapitalerhöhung im Umfang von EUR 300 Mio. notwendig, um kurzfristig dringend benötigte Liquidität bereitzustellen und mittel- bis langfristig die Wettbewerbsfähigkeit der Gesellschaft wiederherzustellen. Die Kapitalerhöhung ist Voraussetzung für die beiden folgenden Massnahmen. |
ii. | Zweitens ist vorgesehen, dass BigPoint Holding AG auf eine vertraglich vereinbarte Teilrückführung eines der beiden ausstehenden Kredite verzichtet und den Kreditrahmen um EUR 5 Mio. auf insgesamt EUR 200 Mio. aufstockt. |
iii. | Drittens sollen die Bedingungen des revolvierenden Kredits mit den Konsortialbanken und die Kreditbedingungen mit den ABS-Finanzierungsgebern und mit BigPoint Holding AG neu verhandelt werden. Gemäss dem aktuellen Stand der Verhandlungen ist vorgesehen, dass die Laufzeit des revolvierenden Konsortialkredits bis im September 2028 verlängert wird und die Covenants in Bezug auf Eigenkapital und Liquidität auf die neue Finanzierungsstruktur angepasst werden. |
Des Weiteren plant die Gesellschaft die Veräusserung von Geschäftsteilen, die nicht zum Kerngeschäft passen oder die in der Vergangenheit dauerhaft Verluste erzielten. Allerdings werden die Erlöse aus den geplanten Veräusserungen der Swiss Steel Group nicht direkt als Liquidität zur Verfügung stehen, weil die sie mehrheitlich an die involvierten Kreditgeber zurückgeführt werden müssen. Deshalb ist die beabsichtigte Kapitalerhöhung alternativlos.
[…]
Zentraler Teil des Sanierungskonzepts ist die beabsichtigte Kapitalerhöhung in Höhe von brutto EUR 300 Mio., die spätestens im April 2024 vollzogen werden muss. Da der Nennwert der Swiss Steel-Aktien (CHF 0.15) über ihrem aktuellen Kurs (CHF 0.09) liegt, wird voraussichtlich eine sog. Harmonika notwendig werden, d.h. eine Herabsetzung des Nennwerts jeder Swiss Steel-Aktie (auf das im Zeitpunkt des Generalversammlungsbeschlusses aktuelle Kursniveau oder ein tieferes Niveau) und eine gleichzeitige ordentliche Kapitalerhöhung durch Ausgabe neuer Aktien mindestens im Umfang des unmittelbar zuvor herabgesetzten Nennkapitals.
[…]
Die Eckpunkte der geplanten Kapitalerhöhung stehen im Zeitpunkt des Gesuchs vom 26. Februar 2024 noch nicht abschliessend fest. Nach dem aktuellen Stand der Diskussionen soll die Kapitalerhöhung mittels einer Bezugsrechtsemission und der Unterstützung der UBS AG als Sole Lead Manager durchgeführt werden. Das Bezugsrecht der Aktionäre bleibt damit gewahrt. Die Bezugsrechte werden übertragbar sein. Es ist noch offen, ob der Bezugspreis vor Beginn der Bezugsrechtsperiode oder im Rahmen eines Bookbuilding nach Ablauf der Bezugsrechtsperiode festgelegt wird.
Nach dem derzeitigen Stand der Planung soll die beabsichtigte Kapitalerhöhung am 4. April 2024 einer ausserordentlichen Generalversammlung zur Genehmigung vorgelegt werden.
Mit Schreiben vom 27. November 2023 hat BigPoint Holding AG gegenüber dem Verwaltungsrat der Swiss Steel ihre grundsätzliche Bereitschaft erklärt, im Rahmen der beabsichtigten Kapitalerhöhung Aktien für einen Gesamtbetrag von maximal EUR 300 Mio. (u.a. abhängig von der Realisierung gewisser Desinvestitionen) zu einem Ausgabepreis von maximal CHF 0.12 pro Swiss Steel-Aktie zu zeichnen. Dies unter der Bedingung, dass BigPoint Holding AG bzw. Martin Haefner keine Pflicht trifft, ein öffentliches Kaufangebot zu unterbreiten (bestätigt durch eine rechtskräftige Verfügung der UEK). Die beantragte Sanierungsausnahme stellt sicher, dass die Kapitalerhöhung von BigPoint Holding AG unterstützt werden kann.
[…]
Dem Verwaltungsrat liegen im Zeitpunkt des Gesuchs vom 26. Februar 2024 keine zusätzlichen Absichtserklärungen oder Zusagen von anderen Aktionären oder neuen Investoren vor, an der Kapitalerhöhung teilzunehmen.
Die Börsenkapitalisierung der Swiss Steel beträgt im Zeitpunkt des Gesuchs vom 26. Februar 2024 ca. CHF 275 Mio. Unter der Annahme, dass die neuen Aktien zum aktuellen Kurs der Swiss Steel-Aktien von CHF 0.09 ausgegeben werden, müsste für eine Kapitalerhöhung von brutto EUR 300 Mio. das Aktienkapital mehr als verdoppelt werden. Aufgrund der schwierigen finanziellen Lage der Swiss Steel Group und der Risiken eines Investments in Swiss Steel ist davon auszugehen, dass BigPoint Holding AG überproportional an der Kapitalerhöhung teilnehmen und sich ihre Beteiligung von aktuell 32.73 % auf über 33⅓% der Stimmrechte erhöhen wird.
4. | Alternativ geprüfte Massnahmen [i.S.d. inhaltlichen Anforderungen von UEK-RS Nr. 5, Rn5] |
Wie zuvor beschrieben ist die beabsichtigte Kapitalerhöhung zentral für die gesamte Restrukturierung der Swiss Steel Group. Alternativen sind keine vorhanden.
Die Gesellschaft hat das betriebsnotwendige Nettoumlaufvermögen (Net Working Capital) auf ein minimales Niveau zurückgefahren. Dies kommt faktisch dem Beginn der Liquidation der Gesellschaft gleich. Zusätzliche Massnahmen zur Verbesserung der operativen Liquidität gibt es nicht.
Sondierungsgespräche am Kapitalmarkt und die Verhandlungen mit den Kreditgebern haben gezeigt, dass die aktuelle finanzielle Situation der Swiss Steel Group – insbesondere die schmale Eigenkapitalbasis und der hohe Verschuldungsgrad von 7.25 : 1 – eine substanzielle Aufstockung der Kredite durch die bestehenden Banken oder ein neues Bankenkonsortium (unter gleichzeitiger Ablösung der bestehenden Kredite) oder eine anderweitige Fremdfinanzierung über den Kapitalmarktmarkt (z.B. Ausgabe einer Anleihe) nicht zulässt. Zudem verfügt die Gesellschaft über keine weiteren nennenswerten Sicherheiten, die zur Besicherung von zusätzlichem Fremdkapital verwendet werden könnten. Im Übrigen würde die schmale Eigenkapitalbasis zusätzliches Fremdkapital bilanziell kaum zulassen. Ohne die sofortige substanzielle Aufstockung des Eigenkapitals fehlt der Gesellschaft die Kredit- und Kapitalmarktfähigkeit.
Die Gesellschaft prüft laufend den Verkauf von Geschäftsbereichen. Bereits unterzeichnet ist der Verkauf eines Grundstücks in Düsseldorf durch die Tochtergesellschaft Swiss Steel Edelstahl GmbH. Der Vollzug ist im ersten Halbjahr 2024 geplant. Die Abstossung von Produktionsstätten der Tochtergesellschaft Ascometal France Holding ist in Planung und wird voraussichtlich im ersten Halbjahr 2024 vollzogen. Weitere Verkäufe, insbesondere der Verkauf der Finkl-Gruppe (USA), werden angestrebt, sind aber mit Unsicherheiten verbunden. In jedem Fall sind die Erlöse aus dem Verkauf dieser Geschäftseinheiten bei weitem nicht ausreichend, um den Weiterbestand der Swiss Steel Group zu sichern, zumal sie mehrheitlich an die Kreditgeber abgeführt werden müssen.
Ein (Not-)Verkauf von weiteren Geschäftsbereichen wurde vom Verwaltungsrat geprüft, schliesslich aber verworfen. Zwar verfügt die Gesellschaft mit Steeltec und Ugitech über zwei Geschäftsbereiche, deren innerer Wert erheblich genug ist, um einen ausreichenden Verkaufserlös zu erzielen. Der Verkauf dieser wichtigen Cash-generierenden Geschäftsteile käme jedoch einer Zerschlagung der Gesellschaft bzw. einer Liquidation gleich. Ohne diese "Kronjuwelen" hat die Swiss Steel Group keine Existenzberechtigung mehr, da die gruppenweite Stahlproduktion auf ein bedeutungsloses Niveau absinken und relevante Synergien unter den Geschäftsbereichen wegfallen würden. Für die Stakeholder der Gesellschaft wäre dieses Szenario bedeutend schlechter (kein going concern mehr) als die geplante Rekapitalisierung. Zudem wäre es im aktuell schlechten Marktumfeld nicht realistisch, kurzfristig einen Käufer für diese Geschäftsbereiche zu finden. Wie der Verkauf der osteuropäischen Vertriebsgesellschaften der Swiss Steel gezeigt hat, dauert die Umsetzung derartiger Transaktionen sehr lange, weil sie u.a. von der Genehmigung staatlicher Behörden (namentlich von Wettbewerbsbehörden) abhängen. Schliesslich würde ein Verkauf dieser Geschäftsbereiche auch nicht zwingend die dringend benötigte Liquidität für das operative Geschäft der Gruppe generieren, weil zunächst die Kreditgeber beim Verkauf von Sicherheiten Anspruch auf allfällige Erlöse erheben würden.
G.
Zur Prüfung dieser Angelegenheit wurde ein Ausschuss bestehend aus der Präsidentin Mirjam Eggen, Jean-Luc Chenaux und Beat Fellmann gebildet.
Die Übernahmekommission zieht in Erwägung:
1. Die Sanierungsausnahme von der Angebotspflicht gemäss Art. 136 Abs. 1 lit. e FinfraG (Antrag Ziff. 1)
1.1 Rechtliches
[1] Nach Art. 135 Abs. 1 Satz 1 FinfraG ist derjenige zur Unterbreitung eines Angebots für alle kotierten Beteiligungspapiere einer Publikumsgesellschaft verpflichtet, welcher direkt, indirekt oder in gemeinsamer Absprache mit Dritten Beteiligungspapiere dieser Gesellschaft erwirbt und damit zusammen mit den bereits gehaltenen Beteiligungspapieren den Grenzwert von 33⅓% der Stimmrechte, ob ausübbar oder nicht, überschreitet. Die Angebotspflicht bezweckt den Schutz der Minderheitsaktionäre vor einem für sie nachteiligen Kontrollwechsel, indem diesen eine Ausstiegsmöglichkeit zu festgelegten Bedingungen gewährt wird (Verfügung der FINMA vom 6. Dezember 2019, Rn 34; Verfügung 825/01 vom 27. Juli 2022 in Sachen MCH Group AG, Rn 21).
[2] Die mit der Angebotspflicht verbundenen Konsequenzen sind einschneidend. Sie können unter gewissen, seltenen Umständen sachlich unerwünschte Folgen haben oder gar kontraproduktiv wirken. Für diese Fälle hat der Gesetzgeber in Art. 136 Abs. 1 FinfraG einen Korrekturmechanismus mit einem nicht abschliessenden Katalog von Ausnahmen von der Angebotspflicht statuiert (Verfügung des Übernahme- und Staatshaftungsausschusses der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht FINMA vom 18. Mai 2021 in Sachen Swiss Steel Holding AG [Verfügung der FINMA vom 18. Mai 2021], Rn 27; Verfügung 825/01 vom 27. Juli 2022 in Sachen MCH Group AG, Rn 22).
[3] In berechtigten Fällen kann damit die UEK Ausnahmen von der Angebotspflicht gewähren, so namentlich wenn Beteiligungspapiere zu Sanierungszwecken erworben werden (Art. 136 Abs. 1 lit. e FinfraG). Der Zweck dieser Bestimmung liegt darin, Sanierungen nicht durch die Angebotspflicht und den damit verbundenen finanziellen Aufwand zu erschweren oder zu gefährden. Die Sanierungsausnahme soll Investoren privilegieren, welche bereit sind, die Gesellschaft in einer prekären Finanzlage zu unterstützen. In solchen Fällen liesse es sich nämlich nur schwer rechtfertigen, dem Investor neben seiner Risikobeteiligung an der sanierungsbedürftigen Gesellschaft mit der Angebotspflicht eine zusätzliche finanzielle Bürde aufzuerlegen (Verfügung der FINMA vom 18. Mai 2021, Rn 28; Verfügung 825/01 vom 27. Juli 2022 in Sachen MCH Group AG, Rn 23). Die Sanierungsausnahme beruht somit auf der Wertung, dass das Interesse – auch dasjenige der Minderheitsaktionäre – am Fortbestand des Unternehmens gegenüber dem Interesse der Minderheitsaktionäre an der Veräusserung ihrer Titel im Rahmen eines Pflichtangebots überwiegt (Verfügung der FINMA vom 18. Mai 2021, Rn 28; Verfügung der FINMA vom 6. Dezember 2019, Rn 35; Verfügung 825/01 vom 27. Juli 2022 in Sachen MCH Group AG, Rn 23).
[4] Die Gewährung einer Sanierungsausnahme i.S.v. Art. 136 Abs. 1 lit. e FinfraG setzt voraus, dass ein Sanierungsbedarf bei der Gesellschaft besteht (Verfügung der FINMA vom 6. Dezember 2019, Rn 36; Verfügung 825/01 vom 27. Juli 2022 in Sachen MCH Group AG, Rn 25). Ferner müssen die gewählten Sanierungsmassnahmen nach dem normalen Lauf der Dinge mit vernünftiger Wahrscheinlichkeit geeignet sein, den Fortbestand der betroffenen Gesellschaft zu sichern (sog. Sanierungseignung; Verfügung der FINMA vom 6. Dezember 2019, Rn 40; Verfügung 825/01 vom 27. Juli 2022 in Sachen MCH Group AG, Rn 25). Schliesslich ist die Sanierungsausnahme subsidiär zu gewähren (sog. Subsidiarität; Verfügung der FINMA vom 6. Dezember 2019, Rn 43; Verfügung 825/01 vom 27. Juli 2022 in Sachen MCH Group AG, Rn 25).
[5] Mit Blick auf die hiervor genannten Voraussetzungen für die Gewährung einer Sanierungsausnahme hat die UEK das UEK-RS Nr. 5 erlassen, welches die Rechtssicherheit für die Marktteilnehmer erhöhen soll, indem es ausführt, welche Informationen die UEK im Grundsatz benötigt, um ein Gesuch um Erteilung einer Sanierungsausnahme zu beurteilen. Damit sollen Gesuchsteller und Zielgesellschaft in die Lage versetzt werden, rechtzeitig die entsprechenden Informationen aufzubereiten, damit die Prüfung eines entsprechenden Gesuchs durch die UEK möglichst rasch erfolgen kann ( Lukas Roos, Sanierungsausnahme und selektives Opting out/up – ein Vergleich, SZW 3/2023 327, S. 328, Fn 4).
[6] Gemäss UEK-RS Nr. 5, Rn 1 hat die Zielgesellschaft der UEK ein sog. Sanierungskonzept Dieses Sanierungskonzept muss die finanzielle Situation der Zielgesellschaft darstellen und die Ursachen dafür erläutern (UEK-RS Nr. 5, Rn 2). Ferner muss darin die Höhe des Sanierungsbedarfs quantitativ dargestellt werden und der Sanierungsbedarf ist auch zu begründen. Dabei sind Angaben zur zeitlichen Dringlichkeit zu machen und die Liquiditätsplanung für mindestens die nächsten sechs Monate ist zu erläutern (UEK-RS Nr. 5, Rn 3). Zudem müssen die Details der gewählten Sanierungsmassnahme und der geplanten Kapitalerhöhung erläutert werden (UEK-RS Nr. 5, Rn 4). Abschliessend ist darzulegen, welche Massnahmen als Alternativen zum gewählten Sanierungskonzept geprüft und verworfen oder erfolgslos durchgeführt wurden. Die Gründe hierfür sind zu erläutern (UEK-RS Nr. 5, Rn 5).
[7] Mit der Gewährung von Ausnahmen können Auflagen verbunden werden, wobei der erwerbenden Person insbesondere Verpflichtungen für die Zukunft auferlegt werden können (Art. 41 Abs. 3 FinfraV-FINMA; Verfügung der FINMA vom 18. Mai 2021, Rn 31; Verfügung der FINMA vom 6. Dezember 2019, Rn 59; Verfügung 825/01 vom 27. Juli 2022 in Sachen MCH Group AG, Rn 64; vgl. zum Ganzen des Weiteren auch Urs Schenker, Schweizerisches Übernahmerecht, Bern 2009, S. 420 f.).
1.2 Ausführungen der Gesuchsteller
[8] Nach Ansicht der Gesuchsteller sind die einzelnen Voraussetzungen für die Gewährung einer Sanierungsausnahme gemäss Art. 136 Abs. 1 lit. e FinfraG erfüllt.
[9] Die Gesuchsteller begründen dies in ihrem Gesuch vom 26. Februar 2024 wie folgt:
-
- Der Sanierungsbedarf der Swiss Steel Group ergebe sich u.a. daraus, dass spätestens im Mai 2024 die Zahlungsunfähigkeit eintreten würde (verfügbare Liquidität ≤ EUR 0). Die faktische Zahlungsunfähigkeit trete jedoch bereits früher ab einer verfügbaren Liquidität von rund EUR 50 Mio. ein. Dieser Betrag entspreche dem operativen Cash-Bestand, der approximativ nötig sei, um die betriebsnotwendige Liquidität im Konzern sicherzustellen. Bei Unterschreiten dieses Betrags sei das konzernweite Cash Management nicht mehr steuerbar. Zudem sei die substanzielle Stärkung des Eigenkapitals Voraussetzung dafür, dass die Kreditnehmer darauf verzichten, die beanspruchten Kreditlinien in Höhe von insgesamt EUR 709 Mio. zu kündigen. Eine Kündigung der Kreditlinien in diesem Umfang habe eine sofortige Insolvenz der Gesellschaft zur Folge. Der Sanierungsbedarf der Swiss Steel Group sei damit erstellt.
- Die beabsichtigte Kapitalerhöhung im Gegenwert von EUR 300 Mio. sei geeignet, der Swiss Steel Group die dringend benötigten Mittel zuzuführen und ihre Eigenkapitalquote zu stärken. Die Gesellschaft könne mit den zusätzlichen Mitteln den Geschäftsbetrieb längerfristig fortführen und wieder vollständig am Markt teilnehmen. Die beabsichtigte Kapitalerhöhung erfülle somit die Voraussetzung der Sanierungseignung, wobei auch das Sanierungsgutachten zu diesem Schluss gelange.
- Die Gesellschaft habe verschiedene Sanierungsmassnahmen geprüft und einzelne (u.a. Desinvestitionen) bereits in die Wege geleitet. Aus Sicht des Verwaltungsrates sei aber die beabsichtigte Kapitalerhöhung die alles entscheidende und in dem Sinne einzige Massnahme, mit welcher die Swiss Steel Group tatsächlich saniert werden könne. Jeder Aktionär werde im Verhältnis zu seiner bestehenden Aktienbeteiligung an der Kapitalerhöhung teilnehmen können. Auf diese Weise sei die Subsidiarität bereits zu einem wesentlichen Teil in die beabsichtigte Kapitalerhöhung eingebaut. Aufgrund der schwierigen finanziellen Lage der Swiss Steel Group und der damit verbundenen Risiken eines Investments in die Gesellschaft sei aber nicht davon auszugehen, dass ohne substanzielle, überproportionale Teilnahme durch BigPoint Holding AG die Gesellschaft in der Lage sein werde, brutto EUR 300 Mio. zusätzliches Kapital aufzunehmen. Mit Ausnahme der Absichtserklärung von BigPoint Holding AG, bis zu EUR 300 Mio. zu investieren, lägen der Gesellschaft im Zeitpunkt dieses Gesuchs keine Absichtserklärungen oder Zusagen von anderen Aktionären oder neuen Investoren vor, an der Kapitalerhöhung teilzunehmen. BigPoint Holding AG habe jedoch ein weiteres finanzielles Engagement davon abhängig gemacht, dass sie keine Angebotspflicht treffe (rechtskräftig bestätigt durch die UEK). Ohne die Gewährung der beantragten Sanierungsausnahme würde die Bedingung von BigPoint Holding AG nicht erfüllt und folglich die Kapitalerhöhung erheblich gefährdet sein. Ohne die Kapitalerhöhung drohe der Gesellschaft unmittelbar die Insolvenz. Die Voraussetzung der Subsidiarität sei daher erfüllt.
- Der Sanierungsbedarf der Swiss Steel Group ergebe sich u.a. daraus, dass spätestens im Mai 2024 die Zahlungsunfähigkeit eintreten würde (verfügbare Liquidität ≤ EUR 0). Die faktische Zahlungsunfähigkeit trete jedoch bereits früher ab einer verfügbaren Liquidität von rund EUR 50 Mio. ein. Dieser Betrag entspreche dem operativen Cash-Bestand, der approximativ nötig sei, um die betriebsnotwendige Liquidität im Konzern sicherzustellen. Bei Unterschreiten dieses Betrags sei das konzernweite Cash Management nicht mehr steuerbar. Zudem sei die substanzielle Stärkung des Eigenkapitals Voraussetzung dafür, dass die Kreditnehmer darauf verzichten, die beanspruchten Kreditlinien in Höhe von insgesamt EUR 709 Mio. zu kündigen. Eine Kündigung der Kreditlinien in diesem Umfang habe eine sofortige Insolvenz der Gesellschaft zur Folge. Der Sanierungsbedarf der Swiss Steel Group sei damit erstellt.
[10] Vor dem Hintergrund, dass die Sanierungsausnahme in casu auch ohne Auflage im Sinne von Art. 41 Abs. 3 FinfraV-FINMA gewährt werden soll, erklären die Gesuchsteller in ihrem Gesuch vom 26. Februar 2024, was folgt:
-
- Auflagen müssten gemäss der Praxis der UEK sachgerecht und verhältnismässig sein, wobei diese Kriterien vorliegend aber nicht erfüllbar seien. BigPoint Holding AG gehe wiederholt ein ausserordentlich hohes finanzielles Risiko zugunsten aller Aktionäre der Swiss Steel ein, während das Interesse eines Minderheitsaktionärs an der Veräusserung seiner Beteiligung im Rahmen eines Pflichtangebots vorliegend nur von marginaler Bedeutung sei. So habe die Gesellschaft bereits 2020 (CHF 325 Mio.) und 2021 (CHF 247 Mio.) mittels Kapitalerhöhungen gestützt werden müssen, die weitgehend durch die finanzielle Beteiligung von BigPoint Holding AG überhaupt erst möglich geworden seien. In der Gesamtschau, unter Berücksichtigung der bereits erfolgten Kapitalerhöhungen und des hohen finanziellen Engagements von BigPoint Holding AG, erfordere die Anwendung des Verhältnismässigkeitsprinzips keine Einschränkung der Sanierungsausnahme mittels Auflagen. Es sei nicht zu rechtfertigen, BigPoint Holding AG die finanziellen Risiken eines weiteren, erheblichen Kapitaleinsatzes zugunsten aller Aktionäre alleine tragen zu lassen, ihr aber die Aussicht auf einen angemessenen Return on Investment mittels Auflagen einzuschränken. Die Geschäftsentwicklung über die letzten fünf Jahre habe gezeigt, dass auch zukünftig nicht ausgeschlossen werden könne, dass weitere Kapitalmassnahmen notwendig werden könnten. Auch deshalb wären Spekulationen über den erwarteten Zeitbedarf der Sanierung – analog zum Entscheid der FINMA im Jahr 2019 (vgl. Verfügung der FINMA vom 6. Dezember 2019, Rn 63 f.) – und eine daran anknüpfende Befristung der Sanierungsausnahme weder sachgerecht noch unter Verhältnismässigkeitsgesichtspunkten erforderlich.
1.3 Gewährung einer Sanierungsausnahme von der Angebotspflicht gemäss Art. 136 Abs. 1 lit. e FinfraG im vorliegenden Fall
1.3.1 Aufbau
[11] Nachfolgend werden zunächst die in Erw. 1.1, Rn [4] genannten Voraussetzungen für die Gewährung einer Sanierungsausnahme gemäss Art. 136 Abs. 1 lit. e FinfraG untersucht, d.h.
(i) | der Sanierungsbedarf (Erw. 1.3.2), |
(ii) | die Sanierungseignung (Erw. 1.3.3) und |
(iii) | die Subsidiarität der gewährten Sanierungsmassnahme (Erw. 1.3.4). |
[12] Anschliessend wird geprüft, ob die Sanierungsausnahme allenfalls mit einer AuflageS.v. Art. 41 Abs. 3 FinfraV-FINMA verknüpft werden soll (Erw. 1.3.5), bevor abschliessend ein Fazit gezogen wird (Erw. 1.4).
1.3.2 Sanierungsbedarf
[13] Wird eine Sanierungsausnahme i.S.v. Art. 136 Abs. 1 lit. e FinfraG beantragt, muss geprüft werden, ob ein Sanierungsbedarf der Gesellschaft besteht. Dabei wird von einem betriebswirtschaftlichen (nicht einem aktienrechtlichen) Sanierungsbegriff ausgegangen. Demnach muss der wirtschaftlich notleidenden Zielgesellschaft eine existenzgefährdende Schwäche anhaften bzw. es müssen Risiken bestehen, die den Fortbestand der Gesellschaft gefährden. Dabei braucht nicht abgewartet zu werden, bis eine Unterbilanz, eine Überschuldung oder die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft effektiv eintritt (Verfügung der FINMA vom 6. Dezember 2019, Rn 36; Verfügung 825/01 vom 27. Juli 2022 in Sachen MCH Group AG, Rn 52). Gemäss der Praxis der UEK ist ein Sanierungsbedarf z.B. zu bejahen, wenn nach Art. 725a Abs. 1 OR ein Kapitalverlust besteht (vgl. Verfügung 709/01 vom 27. November 2018 in Sachen Leclanché S.A., Erw. 2.1, Rn 8; Verfügung 606/01 vom 11. Juni 2015 in Sachen Züblin Immobilien Holding AG, Erw. 2.1) oder die Revisionsstelle die Einschätzung abgibt, dass die Gesellschaft aller Wahrscheinlichkeit nach innerhalb kurzer Zeit in eine Überschuldungssituation geraten würde (oder bereits geraten ist) (vgl. Verfügung 681/01 vom 22. Februar 2018 in Sachen Leclanché S.A., Erw. 2, Rn 7; Lukas Roos, cit., SZW 3/2023 327, S. 328). Ausserdem bejahte die UEK in ihrer bisherigen Praxis den Sanierungsbedarf auch, wenn die Bilanz der Gesellschaft klare Anzeichen grosser finanzieller Probleme – insbesondere hohe Verluste und Liquiditätsprobleme – aufzeigte (vgl. Verfügung 825/01 vom 27. Juli 2022 in Sachen MCH Group AG, Erw. 3.3.2, Rn 52; Verfügung 709/01 vom 27. November 2018 in Sachen Leclanché SA, Rn 8 f.).
[14] Die Ausführungen im Sanierungskonzept (vgl. Sachverhalt lit. F, Ziff. 1 und Ziff. 2) vermögen die in der Bilanz der Swiss Steel bestehenden, grossen finanziellen Probleme (insbesondere hohe Verluste und Liquiditätsprobleme) hinreichend klar auszuweisen, wie folgt:
-
- Die Swiss Steel Group erzielte in der zweiten Jahreshälfte 2023 einen Reinverlust von EUR 265 Mio. Das Gesamtergebnis 2023 zeigt einen Jahresverlust von EUR 295 Mio.
- Bei einer Bilanzsumme von insgesamt EUR 1'933 Mio. verfügt die Swiss Steel Group per 31. Dezember 2023 auf konsolidierter Basis über flüssige Mittel von lediglich EUR 55 Mio. (bzw. CHF 151 Mio., falls man Beträge hinzugerechnet, die unter den bestehenden Kreditlinien nicht gezogen sind) und Eigenkapital in Höhe von nur EUR 234 Mio. Dem stehen per 31. Dezember 2023 kurzfristiges Fremdkapital von EUR 875 Mio. (wovon EUR 309 Mio. auf kurzfristige Finanzverbindlichkeiten entfallen) und langfristiges Fremdkapital von EUR 824 Mio. (wovon EUR 574 Mio. auf langfristige Finanzverbindlichkeiten entfallen) gegenüber. Daraus resultiert eine Nettoverschuldung per 31. Dezember 2023 von rund EUR 829 Mio.
- Die Eigenkapitalquote der Gesellschaft ist aufgrund hoher Verluste im zweiten Halbjahr 2023 massiv gesunken und beträgt bei einer Bilanzsumme von EUR 1'933 Mio. nur gerade 12.1%, was einem im brancheninternen Vergleich «ungesunden» Verschuldungsgrad von rund 725% bzw. 7.2 entspricht.
- Die Kreditgeber haben im Rahmen von Temporary Waiver vorübergehend auf die Geltendmachung ihrer Kündigungsrechte aufgrund der Verletzung von Covenants verzichtet, womit sich die sofortige Insolvenz der Swiss Steel Group bislang hat vermeiden lassen. Die Temporary Waiver sind dabei an die Bedingung geknüpft, dass sich die Gesellschaft kurzfristig durch eine Kapitalerhöhung zusätzliche Mittel zur Stärkung des Eigenkapitals beschafft. Die substanzielle Stärkung des Eigenkapitals über eine Kapitalerhöhung stellt mit anderen Worten eine notwendige Voraussetzung für den Verzicht der Kreditgeber hinsichtlich der Kündigung der beanspruchten Kreditlinien dar.
- Die Liquiditätsplanung der Gesellschaft für das laufende Jahr zeigt, dass ohne die geplante Kapitalerhöhung spätestens im Mai 2024 die Zahlungsunfähigkeit eintritt (verfügbare Liquidität ≤ EUR 0), wobei die faktische Zahlungsunfähigkeit bereits früher ab einer verfügbaren Liquidität von rund EUR 50 Mio. eintreten soll, da bei Unterschreiten dieses Betrags das konzernweite Cash Management nicht mehr gewährleistet sei.
- Die Swiss Steel Group erzielte in der zweiten Jahreshälfte 2023 einen Reinverlust von EUR 265 Mio. Das Gesamtergebnis 2023 zeigt einen Jahresverlust von EUR 295 Mio.
[15] Vor diesem Hintergrund ist die Voraussetzung des Sanierungsbedarfs im vorliegenden Fall erfüllt.
1.3.3 Sanierungseignung
[16] Die gewählten Sanierungsmassnahmen müssen nach dem normalen Lauf der Dinge mit vernünftiger Wahrscheinlichkeit geeignet sein, den Fortbestand der betroffenen Gesellschaft zu sichern (zuletzt Verfügung 825/01 vom 27. Juli 2022 in Sachen MCH Group AG, Erw. 3.3.3, Rn 55). Diese Sanierungseignung ist von der UEK mit Zurückhaltung zu überprüfen. So ist grundsätzlich jede Massnahme als geeignet zu betrachten, welche dazu dient, bei einer wirtschaftlich notleidenden Unternehmung eine anhaftende, existenzgefährdende Schwäche zu beheben und die Ertragskraft wieder herzustellen. Es wird hingegen nicht verlangt, dass eine Garantie für den langfristigen Erfolg der Sanierungsmassnahme besteht. Wenn ausgewiesen ist, dass die Fortführung der Geschäftstätigkeit gefährdet ist, wird grundsätzlich angenommen, dass die von der Generalversammlung getroffenen Massnahmen zur Verbesserung der gegenwärtigen finanziellen Situation zweckmässig sind (Verfügung der FINMA vom 6. Dezember 2019, Rn 40; auch Lukas Roos, op. cit., SZW 3/2023 327, S. 328 f.). Bei der Beurteilung der Sanierungseignung darf grundsätzlich auf die Angaben der Zielgesellschaft und ihres Verwaltungsrates abgestellt werden (Verfügung der FINMA vom 6. Dezember 2019, Rn 42).
[17] Kraft der beabsichtigten Kapitalerhöhung im Gegenwert von EUR 300 Mio. können der Swiss Steel Group dringend benötigte Mittel zugeführt und ihre Eigenkapitalquote gestärkt werden. Mit den zusätzlichen Mitteln kann der Geschäftsbetrieb fortgeführt, die Stahlproduktion hochgefahren und bestehende Nachfrage bedient werden, womit die Swiss Steel Group wieder in die Lage versetzt wird, vollständig am Markt teilnehmen zu können. Auch dürften durch diese Massnahme die Chancen für eine Refinanzierung bestehenden Fremdkapitals sowie eine allfällige Zuführung weiteren Fremdkapitals deutlich verbessert werden. Schliesslich kann mit der Kapitalerhöhung auch sichergestellt werden, dass die Kreditgeber die beanspruchten Kreditlinien nicht unmittelbar aufkündigen. Die Durchführung der beabsichtigten Kapitalerhöhung ist damit geeignet, die finanzielle Situation der Swiss Steel zu verbessern und den Fortbestand der Gesellschaft zu sichern.
[18] Die Voraussetzung der Sanierungseignung ist somit im vorliegenden Fall erfüllt.
1.3.4 Subsidiarität der Sanierungsausnahme
[19] Gemäss dem Grundsatz, dass eine Sanierungsausnahme subsidiär ist, soll eine solche Ausnahme von der Angebotspflicht grundsätzlich erst gewährt werden, wenn andere Sanierungsmassnahmen, die ohne einen Kontrollwechsel durchgeführt werden können, bereits (erfolgslos) ergriffen wurden oder von vornherein als aussichtlos erscheinen. Die Sanierungsausnahme soll nach ihrem Sinn und Zweck (erst) in einer Situation gewährt werden, in welcher sich ohne eine solche Ausnahme kaum ein Investor finden liesse (Verfügung der FINMA vom 6. Dezember 2019, Rn 43; Verfügung 825/01 vom 27. Juli 2022 in Sachen MCH Group AG, Erw. 3.3.4, Rn 57; auch Lukas Roos, op. cit., SZW 3/2023 327, S. 329 f.). Im Weiteren wies die FINMA darauf hin, dass auch wenn theoretisch andere Möglichkeiten bestehen, es für die Wahrung der Subsidiarität ausreicht, dass die im konkreten Einzelfall «vorgeschlagene Vorgehensweise aus heutiger Sicht als die erfolgversprechendste und realistischste Option erscheint» (Verfügung der FINMA vom 6. Dezember 2019, Rn 57).
[20] Die Ausführungen von Swiss Steel im Sanierungskonzept (vgl. Sachverhalt lit. F, Ziff. 4) sowie die Erläuterungen der Gesuchsteller im Rahmen ihres Gesuchs vom 26. Februar 2024 (vgl. den dritten Absatz von Rn [9]) zeigen, dass die Gesellschaft verschiedene Sanierungsmassnahmen geprüft und einzelne (u.a. Desinvestitionen) auch bereits in die Wege geleitet hat.
[21] Aus Sicht des Verwaltungsrates der Swiss Steel handelt es sich bei der beabsichtigten Kapitalerhöhung jedoch um die alles entscheidende und in dem Sinne einzige bzw. alternativlose Massnahme, mit welcher die Swiss Steel Group tatsächlich saniert werden kann.
[22] Gemäss den Ausführungen im Sanierungskonzept haben Sondierungsgespräche am Kapitalmarkt und Verhandlungen mit den Kreditgebern gezeigt, dass die aktuelle finanziellen Situation der Swiss Steel Group eine substanzielle Aufstockung der Kredite durch die bestehenden Banken oder ein neues Bankenkonsortium (unter gleichzeitiger Ablösung der bestehenden Kredite) oder eine anderweitige Fremdfinanzierung über den Kapitalmarktmarkt (z.B. Ausgabe einer Anleihe) nicht zulässt. Zudem verfügt die Gesellschaft wohl über keine weiteren nennenswerten Sicherheiten, die zur Besicherung von zusätzlichem Fremdkapital verwendet werden könnten. Schliesslich scheint auch die schmale Eigenkapitalbasis zusätzliches Fremdkapital bilanziell nicht zulassen. Dementsprechend fehlt es der Gesellschaft ohne die sofortige substanzielle Aufstockung des Eigenkapitals an der Kredit- und Kapitalmarktfähigkeit.
[23] Der Verkauf weiterer Geschäftsbereiche werde überprüft, wobei aber bereits jetzt absehbar sei, dass die Erlöse aus solchen Verkäufen bei weitem nicht ausreichend seien, um den Weiterbestand der Swiss Steel Group zu sichern. Auch habe die Gesellschaft das betriebsnotwendige Nettoumlaufvermögen (Net Working Capital) auf ein minimales Niveau zurückgefahren (was faktisch dem Beginn der Liquidation der Gesellschaft gleichkomme), vor welchem Hintergrund es keine zusätzlichen Massnahmen zur Verbesserung der operativen Liquidität gebe.
[24] Von Bedeutung ist im vorliegenden Fall nicht zuletzt auch, dass die Bezugsrechte der Publikumsaktionäre anlässlich der geplanten Kapitalerhöhung der Swiss Steel gewahrt werden sollen und somit jeder Aktionär im Verhältnis zu seiner bestehenden Aktienbeteiligung an der Kapitalerhöhung wird teilnehmen können. Die Publikumsaktionäre können damit grundsätzlich einer Verwässerung ihrer Beteiligung an Swiss Steel vorbeugen, wenn sie dies möchten.
[25] Vor dem Hintergrund obiger Ausführungen ist die Voraussetzung der Subsidiarität der gewählten Sanierungsmassnahme somit im vorliegenden Fall erfüllt.
1.3.5 Keine Auflage nach Art. 41 Abs. 3 FinfraV-FINMA
[26] Nach Art. 41 Abs. 3 FinfraV-FINMA können mit der Gewährung von Ausnahmen von der Angebotspflicht Auflagen verbunden werden. Dies kann namentlich angezeigt sein, wenn es entweder im Sinne der Verhältnismässigkeit angebracht erscheint oder wenn unangemessene Ergebnisse vermieden werden sollen. Insbesondere können dabei der erwerbenden Person Verpflichtungen für die Zukunft auferlegt werden. So kann die Gewährung einer Ausnahme bspw. mit einer Befristung verbunden werden (Verfügung der FINMA vom 18. Mai 2021, Rn 31; Verfügung der FINMA vom 6. Dezember 2019, Rn 59; Verfügung 825/01 vom 27. Juli 2022 in Sachen MCH Group AG, Rn 64).
[27] Auflagen i.S.v. Art. 41 Abs. 3 FinfraV-FINMA dienen letztlich dem Schutz der Rechte der Minderheitsaktionäre und sollen sicherstellen, dass ein Pflichtangebot unterbreitet werden muss, wenn der Grund für die Gewährung einer Ausnahme weggefallen ist (Verfügung der FINMA vom 6. Dezember 2019, Rn 59; Verfügung 825/01 vom 27. Juli 2022 in Sachen MCH Group AG, Rn 65). In einer Gesamtschau müssen die erlassenen Auflagen dem Schutz der Minderheitsaktionäre dienen sowie sachgerecht und verhältnismässig sein (Verfügung der FINMA vom 18. Mai 2021, Rn 31; Verfügung 825/01 vom 27. Juli 2022 in Sachen MCH Group AG, Rn 65).
[28] Angesichts der Tatsache, dass Swiss Steel abermals auf die rasche Einschiessung erheblicher finanzieller Eigenmittel angewiesen ist, welche — wie dies die Gesuchsteller plausibel darzulegen vermögen — im Wesentlichen von Seiten der BigPoint Holding AG aufgebracht werden dürften, erscheint eine Befristung bzw. generell eine Auflage vorliegend als ein zu starker Eingriff in die Stellung der BigPoint Holding AG (als massgebliche Saniererin). Dementsprechend ist es vorliegend weder sachgerecht noch verhältnismässig, die Sanierungsausnahme mit einer Auflage i.S.v. Art. 41 Abs. 3 FinfraV-FINMA zu verbinden.
[29] Dem Antrag der Gesuchsteller kann somit stattgegeben werden. Die Sanierungsausnahme wird ohne Auflage i.S.v. Art. 41 Abs. 3 FinfraV-FINMA gewährt.
1.4 Fazit
[30] Die Voraussetzungen des Sanierungsbedarfs (vgl. Erw. 1.3.2 oben), der Sanierungseignung (vgl. Erw. 1.3.3 oben) und der Subsidiarität (vgl. Erw. 1.3.4 oben) sind vorliegend erfüllt. Die Sanierungsausnahme kann in diesem Fall zudem auch ohne AuflageS.v. Art. 41 Abs. 3 FinfraV-FINMA gewährt werden (vgl. Erw. 1.3.5 oben).
[31] In Gutheissung von Antrag Ziff. 1 wird somit Martin Haefner und den von ihm kontrollierten Gesellschaften, einschliesslich BigPoint Holding AG, im Zusammenhang mit der im Rahmen der vorliegenden Verfügung beschriebenen Kapitalerhöhung eine Ausnahme gemäss Art. 136 Abs. 1 lit. e FinfraG von der Angebotspflicht i.S.v. Art. 135 Abs. 1 Satz 1 FinfraG in Bezug auf die kotierten Beteiligungspapiere der Swiss Steel ohne Auflagen gewährt.
2. Publikation und Stellungnahme der Zielgesellschaft (Antrag Ziff. 2)
[32] Nach Art. 61 Abs. 3 UEV veröffentlicht die Zielgesellschaft die allfällige Stellungnahme ihres Verwaltungsrates (lit. a) und das Dispositiv der Verfügung der UEK (lit. b). Zudem veröffentlicht die Zielgesellschaft den Hinweis, innert welcher Frist und unter welchen Voraussetzungen ein qualifizierter Aktionär Einsprache gegen die Verfügung der UEK erheben kann (Art. 61 Abs. 3 lit. c UEV). Art. 6 und 7 UEV sind auf diese Veröffentlichung anwendbar (Art. 61 Abs. 4 UEV).
[33] Im vorliegenden Fall beantragen die Gesuchsteller im Rahmen ihres Antrags Ziff. 2, dass die Publikation der Verfügung der UEK bis zur öffentlichen Ankündigung der Kapitalerhöhung durch Swiss Steel aufzuschieben sei.
[34] Ausserdem wurde seitens der Gesuchsteller bestätigt, dass nicht geplant ist, vor Erlass der Verfügung eine (weitere) Stellungnahme nach Art. 61 Abs. 1 UEV abzugeben bzw. eine Stellungnahme des Verwaltungsrates der Zielgesellschaft nach Art. 61 1bis UEV vorzulegen.
[35] Unter Zugrundelegung der Ausführungen hiervor hat Swiss Steel das Dispositiv der vorliegenden Verfügung und den Hinweis auf die Möglichkeit der qualifizierten Aktionäre, Einsprache gegen diese Verfügung zu erheben, in Anwendung von Art. 61 Abs. 3 und 4 UEV zu veröffentlichen.
[36] Die vorliegende Verfügung wird in Gutheissung von Antrag Ziff. 2 erst im Nachgang zu der Veröffentlichung gemäss Rn 31 hiervor und der öffentlichen Ankündigung der im Rahmen der vorliegenden Verfügung beschriebenen Kapitalerhöhung durch Swiss Steel auf der Website der UEK publiziert.
3. Gebühr
[37] Gemäss Art. 126 Abs. 5 FinfraG kann die UEK von den Parteien in Verfahren in Übernahmesachen Gebühren erheben.
[38] Nach Art. 118 Abs. 1 FinfraV erhebt die UEK eine Gebühr, wenn sie in anderen Übernahmesachen entscheidet, insbesondere über das Bestehen einer Angebotspflicht. Die Gebühr beträgt je nach Umfang und Schwierigkeit des Falles bis zu CHF 50'000 Franken (Art. 118 Abs. 2 FinfraV).
[39] Für die Prüfung des vorliegenden Gesuchs wird angesichts von Komplexität und Umfang der zu beurteilenden Sach- und Rechtsfragen eine Gebühr in der Höhe von CHF 40'000 zulasten der Gesuchsteller erhoben. Die Gesuchsteller haften solidarisch für diese Gebühr.
Die Übernahmekommission verfügt:
1. | Martin Haefner und den von ihm kontrollierten Gesellschaften, einschliesslich BigPoint Holding AG, wird im Zusammenhang mit der im Rahmen der vorliegenden Verfügung beschriebenen Kapitalerhöhung eine Ausnahme gemäss Art. 136 Abs. 1 lit. e FinfraG von der Angebotspflicht i.S.v. Art. 135 Abs. 1 Satz 1 FinfraG in Bezug auf die kotierten Beteiligungspapiere der Swiss Steel Holding AG ohne Auflagen gewährt. |
2. | Swiss Steel Holding AG veröffentlicht das Dispositiv der vorliegenden Verfügung und den Hinweis auf die Möglichkeit der qualifizierten Aktionäre, Einsprache gegen diese Verfügung zu erheben, in Anwendung von Art. 61 Abs. 3 und 4 UEV. |
3. | Die vorliegende Verfügung wird im Nachgang zu der Veröffentlichung gemäss Dispositiv-Ziff. 2 hiervor und der öffentlichen Ankündigung der im Rahmen der vorliegenden Verfügung beschriebenen Kapitalerhöhung durch Swiss Steel Holding AG auf der Website der Übernahmekommission publiziert. |
4. | Wird die vorliegende Verfügung nicht veröffentlicht, entfaltet die Dispositiv-Ziff. 1 ausschliesslich im Zusammenhang mit der im Rahmen der vorliegenden Verfügung beschriebenen Kapitalerhöhung Rechtswirkung. |
5. | Die Gebühr zulasten der Swiss Steel Holding AG sowie von Martin Haefner und der BigPoint Holding AG beträgt unter solidarischer Haftung CHF 40'000. |
Die Präsidentin:
Mirjam Eggen
Diese Verfügung geht an die Parteien:
- | Swiss Steel Holding AG, vertreten durch Dr. Philippe Weber und Thomas Brönnimann, Niederer Kraft Frey AG; |
- | Martin Haefner und BigPoint Holding AG, vertreten durch Hans-Jakob Diem, Walder Wyss AG. |
Rechtsmittelbelehrung:
Beschwerde (Art. 140 des Finanzmarktinfrastrukturgesetzes, SR 958.1):
Diese Verfügung kann innert einer Frist von fünf Börsentagen bei der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht FINMA, Laupenstrasse 27, CH-3003 Bern, angefochten werden. Die Anfechtung hat schriftlich zu erfolgen und ist zu begründen. Die Beschwerde hat den Erfordernissen von Art. 52 VwVG zu genügen.
Einsprache (Art. 58 der Übernahmeverordnung, SR 954.195.1):
Ein Aktionär, welcher eine Beteiligung von mindestens drei Prozent der Stimmrechte an der Zielgesellschaft, ob ausübbar oder nicht, nachweist (qualifizierter Aktionär, Art. 56 UEV) und am Verfahren bisher nicht teilgenommen hat, kann gegen die vorliegende Verfügung Einsprache erheben. Die Einsprache ist bei der Übernahmekommission innerhalb von fünf Börsentagen nach der Veröffentlichung der vorliegenden Verfügung einzureichen. Sie muss einen Antrag und eine summarische Begründung sowie den Nachweis der Beteiligung gemäss Art. 56 Abs. 3 und 4 UEV enthalten (Art. 58 Abs. 3 UEV).