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Transactions

0610 - Schindler Holding AG

Verfügung 610/01 vom 21. Juli 2015

Einführung einer statutarischen Obliegenheit zur Unterbreitung eines öffentlichen Kaufangebots

Sachverhalt:


A.
Schindler Holding AG (Schindler) ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Hergiswil/NW. Der statutarische Zweck der Gesellschaft liegt in der Beteiligung an sowie der Leitung und Finanzierung von Unternehmungen im In- und Ausland. Das Kerngeschäft der Industrie- und Dienstleistungsholding, welches operativ massgeblich über weltweite Tochtergesellschaften betrieben wird, liegt im Bereich des Anbietens von Mobilitätslösungen (insbesondere Personenaufzüge, Spezial- und Lastenaufzüge sowie Fahrtreppen und Fahrsteige) und damit verbundener Dienstleistungen. Das Aktienkapital von Schindler beträgt CHF 6'806'180.20 und ist eingeteilt in 68'061'802 vollständig liberierte Namenaktien zu CHF 0.10 Nennwert (Schindler-Aktien). Schindler verfügt zudem über ein Inhaber-Partizipationsscheinkapital im Betrag von CHF 4'423'631.10 eingeteilt in 44'236'311 vollständig liberierte Inhaber-Partizipationsscheine zu CHF 0.10 Nennwert (Schindler-Partizipationsscheine). Sowohl die Schindler-Aktien (Valorensymbol: SCHN; ISIN: CH0024638212) als auch die Schindler-Partizipationsscheine (Valorensymbol: SCHP; ISIN: CH0024638196) sind an der SIX Swiss Exchange AG (SIX) gemäss Main Standard kotiert.


B.
Schindler wird beherrscht durch die Familien Schindler und Bonnard sowie Nahestehende (zusammen die Schindler-Familienaktionäre), die per Jahresende 2014 zusammen 47'639'751 Schindler-Aktien hielten, entsprechend einem Anteil von 69.99 % der Stimmrechte, und durch Aktionärsbindungsverträge zusammengeschlossen sind. Die Schindler-Familienaktionäre sind als Gruppe (Schindler-Gruppe) im Sinne der börsenrechtlichen Meldepflicht gemäss Art. 20 BEHG offengelegt. Nebst den Schindler-Familienaktionären gibt es derzeit keine weiteren qualifizierten Aktionäre, welche über mindestens 3 % der Stimmrechte an Schindler verfügen.


C.
Mit Wirkung auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes über die Börsen und den Effektenhandel (Börsengesetz, BEHG) und dessen Bestimmungen über öffentliche Kaufangebote per 1. Januar 1998 hatte Schindler in seine Statuten den Art. 39 Ausschluss der Angebotspflicht nach Börsengesetz aufgenommen. Bei dieser Bestimmung handelt es sich um eine sog. Opting out-Klausel:

„Art. 39 Ausschluss der Angebotspflicht nach Börsengesetz

  1. Die Pflicht zur Unterbreitung eines öffentlichen Kaufangebotes nach Art. 32 und 52 des Bundesgesetzes über die Börsen und den Effektenhandel (Börsengesetz-BEHG) vom 24. März 1995 wird im Sinne von Art. 53 BEHG wegbedungen.

  2. Dieser Artikel gilt unter Vorbehalt und auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Börsengesetzes-BEHG.“


D.
Mittels Pressemitteilung vom 3. Juli 2015 hat Schindler die Öffentlichkeit darüber informiert, dass sie anlässlich einer auf den 11. August 2015 angesetzten ausserordentlichen Generalversammlung ihre Statuten u.a. um einen neuen Art. 40 – Schindler bezeichnet diesen als massgeschneiderte „Opting in“-Klausel – ergänzen lassen möchte:

„Art. 40 Öffentliches Angebot an alle Aktionäre und Inhaber von Partizipationsscheinen

  1. Falls ein Erwerber allein oder zusammen mit verbundenen Personen 50 % oder mehr des im Handelsregister eingetragenen Aktienkapitals erwirbt, hat der Verwaltungsrat den Erwerber für alle seine Aktien unverzüglich als Vollaktionär im Aktienbuch einzutragen, falls ein zugelassener Revisionsexperte feststellt, dass folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

- Der Erwerber stellt ein Eintragungsgesuch.

- Der Erwerber weist nach, dass er in den letzten 6 Monaten vor seinem Eintragungsgesuch allen Aktionären und Inhabern von Partizipationsscheinen ein freiwilliges öffentliches Angebot im Sinne des Börsengesetzes (BEHG) unterbreitet hat.

- Der Preis des Angebots entsprach für jede Beteiligungskategorie mindestens dem volumengewichteten Durchschnittskurs der börslichen Abschlüsse der letzten 30 Börsentage vor Veröffentlichung des Angebots beziehungsweise der Voranmeldung und lag höchstens 10 % unter dem höchsten Preis, welchen der Erwerber in den 12 vorangegangenen Monaten für die jeweiligen Beteiligungspapiere der Gesellschaft bezahlt hat oder sich zur Zahlung verpflichtet hat.

2. Art. 13 B, Art. 13 F sowie Art. 13 G der Statuten sind diesfalls nicht anwendbar.

3. Falls eine der Voraussetzungen gemäss Abs. 1 hievor nicht erfüllt ist, hat der Verwaltungsrat das Eintragungsgesuch abzulehnen, soweit es die Grenze von 3 % des im Handelsregister eingetragenen Aktienkapitals überschreitet. Art. 13 D und Art. 13 E bleiben vorbehalten.

4. Eine Aufhebung oder Abänderung dieses Artikels bedarf der Zustimmung von drei Vierteln der in der Generalversammlung vertretenen Aktienstimmen, wobei mindestens die Hälfte des im Handelsregister eingetragenen Aktienkapitals vertreten sein muss.“


E.
Am 6. Juli 2015 informierte Schindler den Präsidenten der Übernahmekommission über ihre Absichten hinsichtlich der Ergänzung ihrer Statuten mit einem neuen Art. 40 anlässlich einer ausserordentlichen Generalversammlung vom 11. August 2015. Der Präsident beschloss daraufhin, ein Verfahren zu eröffnen. Mittels einer noch am selben Tag gegenüber Schindler eröffneten verfahrensleitenden Verfügung wurde die Gesellschaft aufgefordert, bis zum 9. Juli 2015 eine Stellungnahme einzureichen, worin sie sich insbesondere zum Hintergrund der vorgeschlagenen Statutenänderung erklären und der Übernahmekommission ihre Überlegungen betreffend die Einführung einer statutarischen Obliegenheit zur Unterbreitung eines öffentlichen Kaufangebots darlegen solle. Weiter wurde Schindler aufgefordert, ihrer Stellungnahme allfällige hinsichtlich der beabsichtigten Statutenänderung eingeholte bzw. erstellte Expertisen sowie den Entwurf der Einladung zur ausserordentlichen Generalversammlung beizulegen.


F.
Am 9. Juli 2015 reichte Schindler fristgemäss ihre Stellungnahme unter Beilage eines externen Rechtsgutachtens, eines Entwurfs der Einladung zur ausserordentlichen Generalversammlung sowie einer Zusammenstellung diverser Presseartikel bei der Übernahmekommission ein.


G.
Am 20. Juli 2015 wurde die Einladung zur ausserordentlichen Generalversammlung von Schindler im Schweizerischen Handelsamtsblatt publiziert.


H.
Zur Prüfung dieser Angelegenheit wurde ein Ausschuss bestehend aus Luc Thévenoz (Präsident), Susan Emmenegger, Susanne Haury von Siebenthal, Thomas A. Müller und Henry Peter gebildet.

Die Übernahmekommission zieht in Erwägung:

1.  Rechtsgültigkeit der Opting out-Klausel

[1] Gemäss Art. 32 Abs. 1 BEHG wird angebotspflichtig, wer direkt, indirekt oder in gemeinsamer Absprache mit Dritten Beteiligungspapiere erwirbt, und damit (zusammen mit den Papieren, die er bereits besitzt) den Grenzwert von 33 1/3 % der Stimmrechte einer Zielgesellschaft überschreitet. Eine Angebotspflicht entsteht unabhängig davon, ob die Stimmrechte ausübbar sind oder nicht. Art. 52 BEHG, der eine zweite Angebotsschwelle für Aktionäre vorsieht, welche bei Inkrafttreten des BEHG bereits über 33 1/3 % der Stimmrechte verfügten, lautet wie folgt: „Wer bei Inkrafttreten des BEHG direkt, indirekt oder in gemeinsamer Absprache mit Dritten über Beteiligungspapiere verfügt, die ihm die Kontrolle über mehr als 33 1/3 %, aber weniger als 50 % der Stimmrechte einer Zielgesellschaft verleihen, muss ein Angebot für alle kotierten Beteiligungspapiere der Gesellschaft unterbreiten, wenn er Beteiligungspapiere erwirbt und damit den Grenzwert von 50 % der Stimmrechte überschreitet.“ Gesellschaften können vor der Kotierung ihrer Beteiligungspapiere in ihren Statuten festlegen, dass ein Übernehmer nicht zu einem öffentlichen Kaufangebot nach den Art. 32 und 52 BEHG verpflichtet ist (Art. 22 Abs. 2 BEHG).

[2] Ein Opting out, welches vor der Kotierung in die Statuten aufgenommen wurde, wird von der Übernahmekommission – vorbehältlich von Nichtigkeitsgründen – nicht auf seine Gültigkeit überprüft. Der Beschluss kann nur (aber immerhin) nach Gesellschaftsrecht angefochten werden (Art. 706 OR und 706a OR). Gleiches gilt für den statutarischen Ausschluss der Angebotspflicht innert einer Übergangsfrist von zwei Jahren nach Inkrafttreten des Börsengesetzes. aArt. 53 BEHG (in der Fassung bis zur Teilrevision des BEHG per 1. Mai 2013) lautete wie folgt: „Bereits kotierte Gesellschaften können innert zweier Jahre nach Inkrafttreten dieses Gesetzes eine Bestimmung gemäss Artikel 22 Abs. 2 in ihre Statuten aufnehmen. Artikel 22 Abs. 3 kommt dabei nicht zur Anwendung.“ (AS 1997 68; siehe zum Ganzen Verfügung 594/01 vom 5. März 2015 in Sachen Sika AG, Erw. 1.2.2 und 1.2.3.).

[3] Die Opting out-Klausel des Art. 39 der Statuten (vgl. dazu Sachverhalt lit. C) von Schindler, welche den Erwerber einer Kontrollmehrheit (bei Überschreitung des Grenzwerts von 33 1/3 % respektive 50 % der Stimmrechte) von der Pflicht entbindet, den Aktionären der (Ziel‑)Gesellschaft ein öffentliches Kaufangebot (gemäss Art. 32 und 52 BEHG) für sämtliche kotierten Beteiligungspapiere zu unterbreiten und auch von der Einhaltung der sog. Mindestpreisregel gemäss Art. 32 Abs. 4 BEHG dispensiert, womit gewissen Aktionären ein höherer Preis für deren Beteiligungspapiere (sog. Kontrollprämie) geboten werden kann, fand mit Beschluss der Generalversammlung vom 6. Mai 1996 Aufnahme in die Statuten von Schindler. Aufgrund der Tatsache, dass diese Statutenbestimmung somit vor Inkrafttreten des BEHG (per 1. Januar 1998) beschlossen wurde, ist sie folglich nach Massgabe des Art. 22 Abs. 2 BEHG zu beurteilen und dementsprechend als Opting out vor Kotierung zu betrachten, weshalb Art. 22 Abs. 3 BEHG keine Anwendung findet und die Gültigkeit einer solchen Opting out-Klausel –  unter Vorbehalt allfälliger Nichtigkeitsgründe (vgl. Erw. 1.2.2), welche in casu jedoch nicht ersichtlich sind – nicht mehr geprüft wird.

[4] Folglich kann festgestellt werden, dass die in Art. 39 der Statuten von Schindler enthaltene Opting out-Klausel gültig ist und bleibt, solange sie nicht mit Generalversammlungsbeschluss aufgehoben wird.

2.  Überprüfungskompetenz der Übernahmekommission

[5] Schindler erwägt, ihre Statuten um einen neuen Art. 40 zu ergänzen (vgl. Sachverhalt lit. D), der für den Fall eines Kontrollwechsels individuelle Regelungen für das Verfahren eines öffentlichen Kaufangebots und die hierbei grundsätzlich zu beachtenden Bedingungen vorsieht.

[6] In ihrer der Übernahmekommission eingereichten Stellungnahme vertritt Schindler die Ansicht, dass es sich bei der Einführung der erwähnten Statutenbestimmung um eine rein gesellschaftsrechtliche Regelung in Form einer (weiteren, enger gefassten) Ausnahme zu vorbestehenden Vinkulierungsbestimmungen in den Statuten von Schindler handelt, die das Börsengesetz nicht tangiert, und dementsprechend einer Überprüfung durch die Übernahmekommission im Hinblick auf deren Übereinstimmung mit den Bestimmungen über öffentliche Kaufangebote (Übernahmesachen) generell entzogen sei.

[7] Gemäss Art. 23 BEHG überprüft die Übernahmekommission die Einhaltung der Bestimmungen über öffentliche Kaufangebote (Übernahmesachen) im Einzelfall. Sie ist materiell zuständig, sich über jede Frage auszusprechen, die sich aus der Anwendung der Übernahmeregeln ergibt (Art. 23 Abs. 3 BEHG; Art. 3 Abs. 1 UEV; BSK BEHG-Tschäni/Iffland/Diem, Art. 33a N 2). Dazu gehört auch die Kompetenz zur Beurteilung der Gültigkeit von statutarischen Bestimmungen, denen übernahmerechtliche Relevanz zukommt.

[8] Mit dem neuen Art. 40 der Statuten (vgl. Sachverhalt lit. D) erwägt Schindler die Etablierung eines Systems, das potentielle Erwerber, welche 50 % oder mehr des Aktienkapitals (d.h. in casu auch der Stimmrechte) und damit die Kontrolle über Schindler erwerben, verpflichtet, ein öffentliches Kaufangebot zu bestimmten durch Schindler festgelegten Bedingungen (die von den im BEHG vorgesehenen Bedingungen abweichen) zu unterbreiten, sofern die potentiellen Erwerber mit Stimmrecht ins Aktienbuch von Schindler eingetragen werden möchten. Eine statutarische Bestimmung, die eine Modifikation des börsenrechtlichen Opting out vorsieht, ist übernahmerechtlich relevant. Sie fällt daher in die Überprüfungskompetenz der Übernahmekommission.

3.  Das übernahmerechtliche System des Börsengesetzes

[9] Das BEHG und dessen ausführende Verordnungen bezwecken die Sicherstellung der Lauterkeit und der Transparenz von öffentlichen Kaufangeboten sowie die Gleichbehandlung der Anlegerinnen und Anleger (Art. 1 BEHG; Art. 1 UEV).

[10] Art. 32 Abs. 1 BEHG sieht vor, dass derjenige, der direkt, indirekt oder in gemeinsamer Absprache mit Dritten Beteiligungspapiere erwirbt und damit zusammen mit den Papieren, die er bereits besitzt, den Grenzwert von 33 1/3 % der Stimmrechte einer Zielgesellschaft, ob ausübbar oder nicht, überschreitet, ein Angebot für alle kotierten Beteiligungspapiere der Gesellschaft unterbreiten muss. Art. 32 Abs. 2 und 3 BEHG sowie Art. 38 und 39 BEHV-FINMA sehen gewisse Ausnahmen von der Angebotspflicht gemäss Art. 32 Abs. 1 BEHG vor. Für Familiengruppen ist Art. 32 Abs. 2 lit. a BEHG (wonach die Gruppe bei der Übertragung von Stimmrechten innerhalb einer vertraglich oder auf eine andere Weise organisierten Gruppe der Angebotspflicht nur als Gruppe untersteht) sowie Art. 32 Abs. 3 BEHG (wonach die Angebotspflicht entfällt, wenn die Stimmrechte durch Schenkung, Erbgang, Erbteilung, eheliches Güterrecht oder Zwangsvollstreckung erworben werden) von besonderer Relevanz.

[11] Bis zum Inkrafttreten des fünften Kapitels des Börsengesetzes am 1. Januar 1998 existierte keine gesetzliche Regelung der Angebotspflicht. Die Einführung der Angebotspflicht war in den parlamentarischen Beratungen höchst umstritten (vgl. etwa Votum von Berichterstatter Pascal Couchepin, Amtl. Bull. 1994 II 1051, Votum Michael Dreher, Amtl. Bull. 1994 II 1064, Votum Walter Frey, Amtl. Bull. 1994 II 1965; zur Entstehungsgeschichte vgl. auch Robert Bernet, Die Regelung öffentlicher Kaufangebote im neuen Börsengesetz (BEHG), Diss. Bern 1998 S. 69 ff. m.w.H.). Die Angebotspflicht konnte schliesslich nur durch einen gesetzgeberischen Kompromiss verankert werden, der u.a. auch deren Ausschluss (Opting out) ermöglichte. Daran änderte die im Jahr 2013 in Kraft getretene Revision des Börsengesetzes (AS 2013 1103) nichts, welche zwar die Möglichkeit der Bezahlung einer Kontrollprämie, nicht hingegen die Möglichkeit eines Opting out (welches im internationalen Vergleich ein Unikum darstellt) abgeschaffte.

[12] Als Resultat des anlässlich der Annahme des BEHG geschlossenen politischen Kompromisses akzeptierte das Parlament parallel zur Angebotspflicht gemäss Art. 32 Abs. 1 BEHG gleichzeitig die Möglichkeit eines vollständigen und generellen Ausschlusses der Bestimmungen zum Pflichtangebot durch die Aufnahme einer Opting out-Klausel in den Statuten einer Zielgesellschaft (Art. 22 Abs. 2 und 3 BEHG).

[13] Darüber hinaus führte das Parlament auch die Möglichkeit eines sog. Opting up (Art. 32 Abs. 1 in fine BEHG) ein, wodurch Zielgesellschaften in ihren Statuten den für ein Pflichtangebot massgeblichen Grenzwert von 33 1/3 % der Stimmrechte bis auf 49 % der Stimmrechte anheben können. Im Falle einer Opting up-Klausel muss ein allfälliges durch die Überschreitung des erhöhten Grenzwerts ausgelöstes Pflichtangebot, die üblichen bei einem Pflichtangebot geltenden Regeln beachten, namentlich die Mindestpreisregel (vgl. Art. 32 Abs. 4 BEHG).

[14] Art. 32 Abs. 4 BEHG regelt den Mindestpreis, dem ein solches Angebot unterworfen ist. Vor dem 1. Mai 2013 musste dieser Mindestpreis mindestens dem Börsenkurs entsprechen, der vor dem Angebot galt (nach Massgabe des volumengewichteten Durchschnittskurses der 60 vorangehenden Börsentage) und er durfte maximal 25 % unter dem höchsten Preis liegen, den der Anbieter in den letzten zwölf Monaten vor der Veröffentlichung des Angebotes für Aktien der Zielgesellschaft bezahlt hatte. Das Gesetz gestattete damit die Bezahlung einer sog. Kontrollprämie an denjenigen Aktionär, der seine Beteiligungspapiere dem Anbieter vor Publikation des Angebots andient. Die Ausrichtung einer Kontrollprämie widersprach allerdings dem im Übernahmerecht geltenden fundamentalen Prinzip der Gleichbehandlung der Anleger (Botschaft vom 31. August 2011 zur Änderung des Börsengesetzes (Börsendelikte und Marktmissbrauch), BBl 2011 6883).

[15] Im Rahmen der per 1. Januar 2013 in Kraft getretenen Revision des Übernahmerechts hat der Gesetzgeber die Bezahlung einer Kontrollprämie bei öffentlichen Übernahmen deshalb schliesslich abgeschafft. Seit dem 1. Mai 2013 muss der Preis des Angebots mindestens gleich hoch sein wie der höhere der folgenden Beträge: Börsenkurs bzw. der höchste Preis, den der Anbieter in den zwölf Monaten für Beteiligungspapiere der Zielgesellschaft bezahlt hat. Die Möglichkeit eines Opting out und eines Opting up hingegen liess der Gesetzgeber unangetastet.

[16] In ihrer kürzlich veröffentlichten Verfügung 600/01 vom 22. April 2015 in Sachen Kaba Holding AG hat die Übernahmekommission im Übrigen auch eine sog. selektive Opting out-Klausel zugelassen. Der Anwendungsbereich selektiver Opting out-Klauseln wurde bewusst auf bestimmte Aktionäre bzw. Aktionärsgruppen oder auf die Auswirkungen einer bestimmten Transaktion beschränkt. Für Kontrollwechsel, welche sich ausserhalb dieses beschränkten Anwendungsbereichs eines selektiven Opting out abspielen, gelangen die üblichen Pflichtangebotsregeln (wie z.B. die Mindestpreisregel gemäss Art. 32 Abs. 4 BEHG) zur Anwendung. Die Einführung selektiver Opting out-Klauseln ist im Übrigen unter den gleichen Voraussetzungen möglich, wie die Einführung eines Opting out und setzt insbesondere das Erfordernis der Mehrheit der Minderheit sowie der Transparenz voraus.

[17] Falls sich Aktionäre dazu entscheiden, eine bestehende Opting out-Klausel in den Statuten wieder zu streichen, kommt die gesetzliche Bestimmung von Art. 32 Abs. 1 BEHG wieder zum Tragen. Man spricht in einem solchen Fall von einem sog. Opting in (vgl. Empfehlung 240/02 vom 27. Juni 2005 in Sachen Unaxis Holding AG, Erw. 3), welches allerdings keine Rückwirkung entfaltet: Wird der Grenzwert von 33 1/3 % der Stimmrechte vor dem Streichen der Opting out-Klausel in den Statuten überschritten, besteht rückwirkend keine Pflicht zur Unterbreitung eines öffentlichen Kaufangebotes (vgl. Empfehlung 064/01 vom 8. Juni 2000 in Sachen Calida Holding AG, Erw. 2). Das beschriebene Opting in gilt es begrifflich wie inhaltlich von Schindlers massgeschneiderter „Opting in“-Klausel (vgl. Sachverhalt lit. D) zu unterscheiden.

4.  Einordnung der vorgeschlagenen Statutenbestimmung

[18] Wie in Sachverhalt lit. D dargestellt, erwägt Schindler ihre Statuten um den neuen Art. 40 zu ergänzen, der vorsieht, dass ein Käufer, der 50 % oder mehr des Aktienkapitals und damit die Kontrolle über Schindler erwirbt, nur dann als Aktionär mit Stimmrecht im Aktienbuch eingetragen wird, wenn er vorgängig allen Aktionären und Inhabern von Partizipationsscheinen ein freiwilliges öffentliches Kaufangebot unterbreitet hat. Der Preis dieses Angebots hat mindestens dem Börsenkurs (d.h. volumengewichteter Durchschnittskurs der börslichen Abschlüsse der letzten 30 Börsentage) zu entsprechen und darf höchstens 10 % unter dem höchsten Preis liegen, den der Käufer in den 12 vergangenen Monaten für Beteiligungspapiere bezahlt hat. Für die Aufhebung oder Änderung von Art. 40 ist ein Quorum von drei Vierteln aller Aktienstimmen vorgesehen.

[19] Mit Einführung des neuen Art. 40 stellt Schindler zukünftigen Käufern, welche eine Kontrollmehrheit an Schindler erwerben und ihr Stimmrecht entsprechend ihrer Beteiligung ausüben wollen, im Sinne einer Obliegenheit anheim, allen Aktionären und Inhabern von Partizipationsscheinen ein öffentliches Kaufangebot zu einem bestimmten, von Schindler vorgegebenen Angebotspreis zu unterbreiten (d.h. Börsenkurs der letzten 30 Tage, Möglichkeit einer Kontrollprämie von bis zu 10 %, vgl. Sachverhalt lit. D).

[20] Auf diese Weise etabliert Schindler ein eigenes, individuelles System zur Regelung öffentlicher Kaufangebote (vgl. Erwägung 4.1), das von dem durch das Übernahmerecht geschaffenen Systems abweicht, welches in seiner heutigen Form – wie in Erwägung 3 hiervor dargelegt – nebst dem Pflichtangebot nach Art. 32 Abs. 1 BEHG die Möglichkeiten (i) einer statutarischen Opting out-Klausel (nach Art. 22 Abs. 2 und 3 BEHG), (ii) einer statutarischen Opting up-Klausel (nach Art. 32 Abs. 1 in fine BEHG) sowie (iii) einer selektiven Opting out-Klausel vorsieht. Eine Gegenüberstellung von Schindlers massgeschneiderter „Opting in“-Klausel mit der statutarischen Opting up-Klausel (nach Art. 32 Abs. 1 in fine BEHG) vermag deren Unterschiede zu veranschaulichen: Während Erstere eine maximale Angebotsschwelle bei 50 %, einen auf Basis der volumengewichteten Durchschnittskurse der börslichen Abschlüsse der letzten 30 Börsentage berechneten Börsenkurs und eine maximale Kontrollprämie von 10 % vorsieht, sieht die (börsenrechtliche) statutarische Opting up-Klausel eine maximale Angebotsschwelle von 49 % sowie einen auf Basis der volumengewichteten Durchschnittskurse der börslichen Abschlüsse der letzten 60 Börsentage berechneten Börsenkurs vor und schliesst die Ausrichtung einer Kontrollprämie ganz aus.

[21] Damit stellt sich im Kern die Frage, ob Schindler – unter Zugrundelegung der rechtsgültigen, in Art. 39 der Statuten enthaltenen Opting out-Klausel – (i) überhaupt berechtigt ist, zur Regelung seiner individuellen Bedürfnisse abweichend vom übernahmerechtlichen System des BEHG (vgl. Erwägung 3) über einen zusätzlichen neuen Art. 40 ihrer Statuten ein individuelles System zur Regelung öffentlicher Kaufangebote zu schaffen oder, ob (ii) Schindler nicht vielmehr zwingend auf die vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellten Möglichkeiten zurückgreifen und ihre individuellen Bedürfnisse innerhalb des vom System des BEHG vorgesehenen Rahmens regeln muss.

4.1  Ausschliesslichkeit des gesetzlichen Systems des Übernahmerechts

[22] Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach dem Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde liegenden Wertungen auf der Basis einer teleologischen Verständnismethode ausgelegt werden. Dabei befolgt das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus und lehnt es namentlich ab, die einzelnen Auslegungselemente (Wortlaut, Historie, Teleologie, Systematik) einer hierarchischen Prioritätsordnung zu unterstellen (BGE 121 III 219 E. 1d/aa S. 225; BGE 136 III 23 E. 6.2.2.1 S. 37; BGer 9C_725/2014 vom 17. März 2015 E. 3.2).

[23] Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Gesetzeswortlaut:

Art. 22 BEHG

2 Die Gesellschaften können vor der Kotierung ihrer Beteiligungspapiere […] in ihren Statuten festlegen, dass ein Übernehmer nicht zu einem öffentlichen Kaufangebot nach den Artikeln 32 und 52 verpflichtet ist.

Art. 32 BEHG

1 Wer direkt, indirekt oder in gemeinsamer Absprache mit Dritten Beteiligungspapiere erwirbt [...] muss ein Angebot unterbreiten für alle kotierten Beteiligungspapiere der Gesellschaft. Die Zielgesellschaften können in ihren Statuten den Grenzwert bis auf 49 Prozent der Stimmrechte anheben.

[24] Die Bestimmung in Art. 22 Abs. 2 BEHG hält fest, dass man die gesetzliche Angebotspflicht in den Statuten ausschliessen kann. Sie enthält keinerlei Hinweise auf weitere Gestaltungsmöglichkeiten. Mithin spricht der Wortlaut von Art. 22 Abs. 2 BEHG gegen die Zulässigkeit eines Opting out, bei dem die Gesellschaft zwar innerhalb der besagten Ausnahmeregelung operiert, aber gleichzeitig in ihren Statuten faktisch einen direkten oder indirekten privatrechtlichen Angebotszwang vorsieht.

[25] Die Gesetzesmaterialien enthalten keine Hinweise darauf, dass der historische Gesetzgeber eine Möglichkeit eröffnen wollte, dass die Gesellschaften auf individueller Basis eine massgeschneiderte „Opting in“-Klausel nach dem Vorbild von Schindler einführen können. Es ist davon auszugehen, dass der historische Gesetzgeber eine solche Möglichkeit eher verworfen und sich dafür ausgesprochen hätte, dass sich die Gesellschaften für oder gegen ein Opting out oder ein Opting up entscheiden müssen. Anlässlich der Revision des BEHG im Jahr 2012 hat der Gesetzgeber die Möglichkeit der statutarischen Einführung einer Opting out- bzw. Opting up-Klausel aufrechterhalten, aber er hat sich bei Pflichtangeboten klar gegen die Ausrichtung einer Kontrollprämie ausgesprochen. Eine allfällige Modifizierung des geltenden Regimes der Opting out- bzw. Opting up-Klauseln stand bei den damaligen parlamentarischen Beratungen nicht zur Debatte, sondern es ging einzig um die Beseitigung der mit der Ausrichtung der Kontrollprämie einhergehenden Ungleichbehandlung. Es standen insbesondere auch keine vermittelnden Lösungen zur Debatte, welche sich zwischen den beiden Polen, d.h. der vollständigen Aufhebung der Pflichtangebotsregeln gestützt auf ein Opting out auf der einen Seite und der ausnahmslosen Anwendung der Pflichtangebotsregeln auf der anderen Seite, situiert hätten. Fragt man nach dem Sinn und Zweck des Opting out und den ihm zugrunde liegenden Wertungen, so ist unbestritten, dass diese Ausnahmeregelung gerade den börsenkotierten Familiengesellschaften, zu denen auch Schindler gehört, die Möglichkeit bieten soll, einen Kontrollwechsel ohne die gesetzlich vorgesehene Angebotspflicht zu vollziehen. Aus diesem konkreten Regelungsziel lassen sich allerdings keine Erkenntnisse darüber gewinnen, ob das gesetzliche Opting out statutarisch modifiziert werden kann. Hingegen ist zu beachten, dass Ausnahmeregeln generell restriktiv auszulegen sind (vgl. BGE 120 II 112 E. 3b/aa S. 114 m.w.N.; BGer Urteil 4A_527/2007 vom 25. Februar 2008 E.5.2.3), was gegen eine massgeschneiderte „Opting in“-Klausel, wie von Schindler vorgeschlagen, spricht.

[26] Darüberhinaus sind mit Blick auf die innere Widerspruchsfreiheit des Übernahmerechts bei der Auslegung der Einzelregelung in Art. 22 Abs. 2 BEHG die übernahmerechtlichen Regelungszwecke in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen. Letztere werden im Art. 1 UEV wie folgt umschrieben: Lauterkeit, Transparenz und Gleichbehandlung der Anlegerinnen und Anleger. Tatsächlich erscheint es im Hinblick auf das Gleichbehandlungsprinzip und unter Zugrundelegung des argumentum a maiore ad minus als vorteilhaft, wenn eine Gesellschaft, die über ein gültiges Opting out mit unbeschränkter Kontrollprämie verfügt, mittels einer Vinkulierungsklausel indirekt eine Angebotspflicht mit einer beschränkten Kontrollprämie einführt. Das übernahmerechtliche Teilziel der Transparenz spricht aber auch in diesem Fall gegen die Zulässigkeit einer massgeschneiderten „Opting in“-Klausel nach dem Vorbild von Schindler. Heute können interessierte (Minderheits-)Aktionäre schnell und einfach erkennen, dass eine Gesellschaft über ein Opting out verfügt, und sie können ihren Anlageentscheid im Wissen um den fehlenden Rechtsschutz im Falle eines Kontrollwechsels treffen. Die Möglichkeit, eine unbeschränkte Zahl von statutarisch begründeten Opting out-Konstellationen einzuführen, die zudem durch einen entsprechenden Generalversammlungsbeschluss jederzeit verändert werden können, führt innerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 22 Abs. 2 BEHG zu einer Intransparenz und Rechtsunsicherheit, die sich­ – nicht zuletzt auch im Hinblick auf den Ausnahmecharakter der Regelung – nicht rechtfertigt. Dabei sind von der Intransparenz und der Rechtsunsicherheit nicht einzig die Minderheitsaktionäre betroffen, sondern auch die potentiellen Kontrollerwerber, die sich möglicherweise am Ende doch mit einer auslegungsbedürftigen und konfliktträchtigen Vinkulierungsklausel konfrontiert sehen.

[27] Als Auslegungsergebnis ist festzuhalten, dass der Gesetzgeber mit dem Grundsatz der Angebotspflicht in Art. 32 Abs. 1 BEHG und den beiden Ausnahmebestimmungen über das Opting out (Art. 22 Abs. 2 und 3 BEHG) und über das Opting up (Art. 32 Abs. 1 in fine BEHG) ein ausschliessliches, in sich geschlossenes gesetzliches System des Übernahmerechts geschaffen hat. Mit der Vorgabe dieses erschöpfenden Rechtsrahmens hat der Gesetzgeber den Zielgesellschaften keinen Spielraum für eine weitergehende, individuelle Gestaltung der Übernahmeregeln eröffnet.

4.2 Bewertung

[28] Mit ihrem Vorschlag versucht Schindler – unter Weitergeltung des bereits bestehenden statutarischen Opting out – ein massgeschneidertes System zu etablieren, innerhalb dessen eine Quasi-Angebotspflicht bei Überschreitung der Angebotsschwelle von 50 % des Aktienkapitals mit der Möglichkeit der Ausrichtung einer Kontrollprämie von bis zu 10 % wieder eingeführt wird.

[29] Zwar hat ein potentieller Käufer die Möglichkeit, die über die statutarische (Vinkulierungs‑)Klausel auferlegte „Verpflichtung“ (streng genommen müsste man hier von einer Obliegenheit sprechen) zur Unterbreitung eines Angebots abzuwenden, indem er auf die Eintragung seiner Stimmrechte im Aktienbuch verzichtet. Jedoch wird durch den Art. 40 faktisch ein „Zugzwang“ und damit eben doch eine Verpflichtung geschaffen, bei Erwerb von 50 % oder mehr der Stimmrechte ein öffentliches Übernahmeangebot zu lancieren, da kein rationaler Investor eine massgebliche Beteiligung in der Höhe von 50 % oder mehr an einer Gesellschaft aufbauen würde unter Verzicht auf das damit einhergehende Stimmrecht, welches ihm ja erst die tatsächliche Kontrolle über die Gesellschaft verschafft.

[30] Dieses massgeschneiderte System verfolgt damit das Ziel, eine statutarische Quasi-Verpflichtung zur Unterbreitung eines öffentlichen Übernahmeangebots zu schaffen. Die Frage der Gültigkeit einer solchen Bestimmung vor dem Hintergrund des Gesetzeszweckes des Art. 680 OR bildet nicht Gegenstand dieser Verfügung. Die Übernahmekommission stellt gleichwohl fest, dass Schindler damit den Versuch zur Wiedereinführung einer Angebotspflicht macht, jedoch unter Zugrundelegung eines Grenzwerts, welcher nicht mit den im BEHG festgelegten Grenzwerten übereinstimmt und zu preislichen Bedingungen, die der Abschaffung der Kontrollprämie durch den Gesetzgeber im Jahre 2013 zuwiderlaufen, was letztlich in einen Widerspruch zum Gleichbehandlungsgebot mündet.

[31] Tatsächlich sieht das Gesetz seit dem 1. März 2013 keine Möglichkeit zur Ausrichtung einer Kontrollprämie im Zusammenhang mit einem Pflichtangebot mehr vor. Es gibt diesbezüglich nur noch die folgenden zwei Möglichkeiten: Entweder (i) besteht eine Angebotspflicht, mit der sich eine Kontrollprämie verbietet, oder (ii) die Statuten der Gesellschaft sehen ein (gültiges) Opting out oder ein Opting up (bei maximal 49 %, nicht wie im Falle Schindlers bei 50 %) vor, weshalb bei einem Kontrollwechsel kein (Pflicht-)Angebot unterbreitet werden muss (was sozusagen die Tür zu einer unlimitierten Kontrollprämie öffnet).

[32] Als Folge des aktuellen Falles Sika (Verfügung 594/01 vom 5. März 2015, 594/02 vom 9. März 2015, 594/03 vom 1. April 2015, 598/01 vom 1. April 2015 sowie Verfügung der FINMA vom 4. Mai 2015 in Sachen Sika AG), welcher die Grenzen des Opting out-Systems und von Vinkulierungsklauseln ersichtlich macht, sucht Schindler nach einer Lösung, die es ihr erlaubt, im Wesentlichen zwei Ziele zu verfolgen: (i) Die Vorteile eines Opting out beizubehalten und so die Schindler-Gruppe bzw. die zu dieser Gruppe gehörenden Aktionäre vor einer Angebotspflicht im Falle von Änderungen innerhalb der Schindler-Gruppe zu schützen, und (ii) eine mit Sika vergleichbare Situation zu verhindern, in der eine sehr hohe Kontrollprämie an die Mehrheitsaktionäre bezahlt wird, ohne dass den Publikumsaktionären ein öffentliches Übernahmeangebot gemacht werden müsste. Die Absichten Schindlers sind redlich und grundsätzlich begrüssenswert, gehen sie doch in Richtung des Schutzes von Minderheitsaktionären. Dennoch erlaubt es die dargestellte aktuelle Rechtslage (vgl. die Erwägungen 3. und 4.1) nicht, dass Schindler über ihre Statuten eine Angebotspflicht einführt, deren Bedingungen denjenigen des geltenden BEHG widersprechen. Die nun seitens Schindler vorgeschlagene Lösung ist systemfremd und würde jeder Gesellschaft, die sich in derselben oder in einer ähnlichen Situation wie Schindler befindet, die Möglichkeit geben, sich ihr eigenes massgeschneidertes System zu schaffen: Sie könnten Käufern, die sich eine Kontrollmehrheit aneignen – aufgrund des faktischen Zwangs zur Eintragung im Aktienbuch zwecks Erlangung der Stimmrechte – über eine solche individuelle Gestaltungskompetenz eine Angebotspflicht auferlegen, die bezüglich Schwellenwert und Preisbedingungen nichts mehr mit den im BEHG vorgesehenen Regeln zu tun hat, was letztlich eine Demontage des beschriebenen, vom Gesetzgeber gewollten übernahmerechtlichen Systems des BEHG bewirken würde.

[33] Ausserdem würde das Akzeptieren einer solchen Lösung dazu führen, dass die Mehrheitsaktionäre die Möglichkeit hätten, die Statuten (und eine allfällig darin enthaltene Angebotspflicht) nach ihrem Belieben zu ändern, sobald einmal eine Opting out-Klausel eingeführt worden ist. Dies würde die Rechtssicherheit beeinträchtigen (siehe Erwägung 4.1).

[34] Das dargestellte übernahmerechtliche System des BEHG, insbesondere auch die jüngste Praxis der Übernahmekommission zum selektiven Opting out (Verfügung 600/01 vom 22. April 2015 in Sachen Kaba Holding AG, Erw. 1), stellt Schindler sowie anderen Gesellschaften in genügendem Masse Möglichkeiten zur Verfügung, ihre bestehenden Opting out-Regelungen anzupassen.

[35] Es stellt sich im Übrigen die Frage, ob ein Opting out die einzige Lösung darstellt, um eine Gruppe von Mehrheitsaktionären vor den Konsequenzen einer Angebotspflicht aufgrund eines Wechsels innerhalb dieser Gruppe zu schützen. In Art. 32 Abs. 3 BEHG ist in dieser Hinsicht ausdrücklich eine gesetzliche Ausnahme von der Angebotspflicht vorgesehen, wenn die Stimmrechte durch Schenkung, Erbgang, Erbteilung, eheliches Güterrecht oder Zwangsvollstreckung erworben wurden (vgl. dazu auch Erwägung 3). Die eingangs gestellte Frage kann letztlich aber offen gelassen werden: Tatsache ist, dass ein Opting out auch den Zweck verfolgt, einer Gruppe von Mehrheitsaktionären die Möglichkeit zu geben, ihre kontrollierenden Beteiligungen zu einem Preis an Dritte zu verkaufen, der eine Kontrollprämie (welche theoretisch beliebig hoch sein kann) beinhaltet, ohne dass der Dritte dazu verpflichtet wäre, auch Minderheitsaktionären ein Angebot zu unterbreiten. Genau diese beiden letztgenannten Punkte möchte Schindler, was anerkennenswert ist, mit der Einführung der neuen Statutenbestimmung ändern. Sie darf dies jedoch nur tun, indem sie sich der vom BEHG vorgesehen Mittel bedient. Es steht nicht in ihrem Belieben dieses Resultat über eine individuelle, massgeschneiderte und systemfremde Lösung zu bewirken.

4.3 Fazit

[36] Die Übernahmekommission stellt fest, dass der von Schindler beabsichtigte neue Art. 40 ihrer Statuten dem vom Gesetzgeber gewollten, in den Art. 22, 32 bzw. 52 BEHG verankerten übernahmerechtlichen System widerspricht. Die mit dem Art. 40 vorgeschlagene Statutenbestimmung ist damit als nichtig zu betrachten und entfaltet, sofern diese anlässlich der ausserordentlichen Generalversammlung vom 11. August 2015 angenommen werden sollte, keine Rechtswirkungen. Letztere Feststellung bleibt ohne Auswirkung auf die Rechtsgültigkeit des Art. 39 der Statuten von Schindler.

5.  Publikation

[37] Gemäss Art. 61 Abs. 3 UEV ist eine Zielgesellschaft, sofern der Übernahmekommission ein Gesuch um Gewährung einer Ausnahme von der Angebotspflicht oder um Feststellung des Nichtbestehens der Angebotspflicht eingereicht wurde (vgl. Art. 61 Abs. 1 UEV), verpflichtet (i) eine Stellungnahme ihres Verwaltungsrates, (ii) das Dispositiv der Verfügung der Übernahmekommission und (iii) den Hinweis, innert welcher Frist und zu welchen Bedingungen eine qualifizierte Aktionärin oder ein qualifizierter Aktionär Einsprache gegen die Verfügung der Übernahmekommission erheben kann, zu veröffentlichen.

[38] Da die Position des Verwaltungsrates von Schindler im vorliegenden Fall aufgrund der durch Schindler per 3. Juli 2015 veröffentlichten Pressemitteilung (vgl. Sachverhalt lit. D) und der darauf folgenden öffentlichen Diskussionen hinlänglich bekannt ist, rechtfertigt sich eine analoge Anwendung von Art. 61 Abs. 3 UEV nicht.

[39] Schindler wird stattdessen verpflichtet, das Dispositiv der vorliegenden Verfügung unter Hinweis auf das Einspracherecht (Art. 58 UEV) innerhalb von drei Börsentagen nach Eröffnung der vorliegenden Verfügung in Anwendung von Art. 6 bis 6b UEV zu veröffentlichen.

[40] Die vorliegende Verfügung wird nach der Eröffnung auf der Website der Übernahmekommission veröffentlicht (Art. 33a Abs. 1 BEHG; Art. 65 Abs. 1 UEV).

6.  Gebühr

[41] Gemäss Art. 69 Abs. 6 UEV erhebt die Übernahmekommission auch eine Gebühr, wenn sie in sog. anderen Fällen, welche nicht die Unterbreitung eines Übernahmeangebots betreffen, entscheidet.

[42] Angesichts der Dringlichkeit, des grundlegenden Charakters und der Komplexität der vorliegenden Fragen sowie aufgrund der Tatsache, dass sich ein Ausschuss bestehend aus fünf Personen mit dem vorliegenden Fall befasst hat, erscheint eine Gebühr von CHF 40'000 zu Lasten von Schindler als angemessen.


Die Übernahmekommission verfügt:

  1. Der von Schindler Holding AG beabsichtigte neue Art. 40 ihrer Statuten ist nichtig und entfaltet im Falle seiner Annahme anlässlich der ausserordentlichen Generalversammlung der Schindler Holding AG vom 11. August 2015 keine Rechtswirkungen.
  2. Schindler Holding AG wird das Dispositiv der vorliegenden Verfügung unter Hinweis auf das Einspracherecht (Art. 58 UEV) innerhalb von drei Börsentagen nach deren Eröffnung gemäss Art. 6 bis 6b UEV veröffentlichen.
  3. Diese Verfügung wird nach der Eröffnung auf der Website der Übernahmekommission veröffentlicht.
  4. Die Gebühr zu Lasten Schindler Holding AG beträgt CHF 40'000.

 

Der Präsident:

Prof. Luc Thévenoz

 

Diese Verfügung geht an die Parteien:

-    Schindler Holding AG

Rechtsmittelbelehrung:

Beschwerde (Art. 33c des Börsengesetzes, SR 954.1):

Gegen diese Verfügung kann innerhalb von fünf Börsentagen Beschwerde bei der Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA, Laupenstrasse 27, CH-3003 Bern erhoben werden. Die Frist beginnt am ersten Börsentag nach Eröffnung der Verfügung per Telefax oder auf elektronischem Weg zu laufen. Die Beschwerde hat den Erfordernissen von Art. 33c Abs. 2 BEHG und Art. 52 VwVG zu genügen.

Einsprache (Art. 58 der Übernahmeverordnung, SR 954.195.1):

Ein Aktionär, welcher eine Beteiligung von mindestens 3 Prozent der Stimmrechte an der Zielgesellschaft, ob ausübbar oder nicht, nachweist (qualifizierter Aktionär, Art. 56 UEV) und am Verfahren bisher nicht teilgenommen hat, kann gegen die vorliegende Verfügung Einsprache erheben. Die Einsprache ist bei der Übernahmekommission (Selnaustrasse 30, Postfach, CH - 8021 Zürich, counsel@takeover.ch, Telefax: +41 58 499 22 91) innerhalb von fünf Börsentagen nach der Veröffentlichung des Dispositivs der vorliegenden Verfügung in den Zeitungen einzureichen. Die Frist beginnt am ersten Börsentag nach der Veröffentlichung zu laufen. Die Einsprache muss einen Antrag und eine summarische Begründung sowie den Nachweis der Beteiligung gemäss Art. 56 UEV enthalten.