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0535 - Schmolz + Bickenbach AG

Verfügung 535/01 vom 24. Mai 2013

Gesuch von Schmolz + Bickenbach GmbH & Co. KG, Schmolz + Bickenbach Beteiligungs GmbH & Co. KG, Schmolz + Bickenbach Beteiligungs GmbH, Schmolz + Bickenbach Stahlcenter AG, Schmolz + Bickenbach Holding AG, Schmolz + Bickenbach Finanz AG sowie Venetos Holding AG betreffend Ausnahmen von der Angebotspflicht bzw. Feststellung des Nichtbestehens einer Angebotspflicht bezüglich Schmolz + Bickenbach AG

Sachverhalt:

A.

Schmolz + Bickenbach AG (S+B AG oder Zielgesellschaft) ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Emmen/LU. S+B AG ist in der Herstellung, Verarbeitung und im Vertrieb von Edelstahl-Langprodukten tätig. S+B AG verfügt über ein Aktienkapital von CHF 413'437'500, eingeteilt in 118'125'000 Namenaktien zu je CHF 3.50 Nennwert (S+B-Aktien) und über ein genehmigtes Kapital von CHF 87'500'000 (entsprechend 25 Mio. S+B-Aktien), wobei die diesbezügliche Ermächtigung des Verwaltungsrates zur Kapitalerhöhung am 15. April 2013 ablief. Die S+B-Aktien sind an der SIX Swiss Exchange AG (SIX) gemäss Main Standard kotiert (SIX: STLN).

B.

Schmolz + Bickenbach GmbH & Co. KG (bis Ende 2010 Schmolz + Bickenbach KG), Düsseldorf/DE (S+B GmbH & Co. KG), ist eine Kommanditgesellschaft nach deutschem Recht, welche gegenwärtig indirekt über die von ihr kontrollierten Gesellschaften (S+B Beteiligungs GmbH & Co. KG, Düsseldorf/DE; Schmolz + Bickenbach Beteiligungs GmbH, Düsseldorf/DE; Schmolz + Bickenbach Stahlcenter AG, Wil/SG; SCHMOLZ + BICKENBACH Finanz AG, Wil/SG und SCHMOLZ + BICKENBACH Holding AG, Wil/SG; gemeinsam die S+B KG-Gruppe) insgesamt eine Beteiligung von 40.46 % der Stimmrechte an der Zielgesellschaft hält (vgl. Offenlegungsmeldung vom 3. April 2013, publiziert am 9. April 2013).

C.

Ein weiterer Hauptaktionär der Zielgesellschaft ist Gebuka AG, Neuheim/ZG (Gebuka), mit 6 % der Stimmrechte, welche zu 100 % von Gerold Büttiker, Feldbach/ZH (Gerold Büttiker), gehalten wird. Zwischen der S+B KG-Gruppe und Gerold Büttiker/Gebuka besteht zurzeit ein Aktionärsbindungsvertrag mit Stimmrechtsausübungsabsprachen, welche als faktische Vetorechte wirken, Vorkaufsrechten und Absprachen über die Zusammensetzung des Verwaltungsrates der Zielgesellschaft. Aufgrund dieses Aktionärsbindungsvertrages bilden die S+B KG-Gruppe und Gerold Büttiker/Gebuka eine die Zielgesellschaft gemeinsam kontrollierende Gruppe, welche zusammen 46.56 % an der Zielgesellschaft hält. Die restlichen 54.47 % der Stimmrechte befinden sich im Publikumsbesitz.

D.

Venetos Holding AG (vormals Venetos Management AG; nachfolgend Venetos) ist eine Aktiengesellschaft schweizerischen Rechts mit Sitz in Zürich und eine 100 % Tochtergesellschaft der INDESTICOPLAZ TRADING LIMITED, Zypern, ist, welche ihrerseits eine 100 % Tochtergesellschaft der Renova Industries Ltd, Bahamas, ist, welche wiederum eine 90 % Tochtergesellschaft der Renova Holding Ltd., Bahamas, ist, die zu 100 % durch die TZ Columbus Services Ltd, British Virgin Island, als Trustee des Columbus Trust (einem Trust gemäss dem Recht der Cayman Islands), beherrscht wird, dessen wirtschaftlich Berechtigter Viktor F. Vekselberg ist (alle zusammen Renova). Renova verfügt zurzeit über keine S+B-Aktien.

E.

Mit Medienmitteilung vom 7. März 2013 teilte die Zielgesellschaft Folgendes mit: “SCHMOLZ+ BICKENBACH schliesst Verhandlungen mit den kreditgebenden Banken über Anpassungen der Kreditvereinbarungen erfolgreich ab. […] Diese Vereinbarungen umfassen Finanzierungslinien in einem Gesamtvolumen von ca. EUR 930 Mio. mit festen Laufzeiten bis März respektive April 2015. Die Bedingungen der Vereinbarungen wurden auf der Basis der aktuellen Marktverhältnisse sowie der erwarteten Geschäftsentwicklung neu festgelegt. Neben der Anpassung der Financial Covenants und der Kreditmargen sind kapitalstärkende Massnahmen vorgesehen. Mit dem Ziel der Stärkung der Kapitalbasis und der Verbesserung der Bilanzstrukturen prüfen Verwaltungsrat und Konzernleitung derzeit verschiedene strategische Optionen. Dazu gehören namentlich Eigenkapitalmassnahmen sowie andere geeignete Massnahmen zur nachhaltigen Reduzierung des Verschuldungsgrades.“

F.

Mit einer weiteren Medienmitteilung vom 4. April 2013 teilte die Zielgesellschaft Folgendes mit: "SCHMOLZ+BICKENBACH AG beabsichtigt Erweiterung des Aktionärskreises. Im Rahmen der angekündigten Massnahmen zur Stärkung der Kapitalstruktur […] hat die Gesellschaft ausgewählte Investoren eingeladen, entsprechende Angebote im Hinblick auf eine Kapitalrestrukturierung und unter Einbezug der bestehenden Aktionäre abzugeben. Sie ist mit verschiedenen nationalen und internationalen Investoren im Gespräch, mit welchen Geheimhaltungs- und Stillhaltevereinbarungen unterzeichnet wurden. […]"

G.

Zwischen der S+B KG-Gruppe und Venetos wurden verschiedene Verträge abgeschlossen, darunter ein Investment Agreement (Investment Agreement) und ein Shareholders Agreement (Shareholders Agreement), beide mit Datum vom 24. April 2013, welche den Einstieg von Renova bei der Zielgesellschaft regeln. Dieser Einstieg soll im Wesentlichen durch eine Barkapitalerhöhung der Zielgesellschaft erfolgen, wobei Venetos die Bezugsrechte (und weitere Aktien) von der S+B KG-Gruppe erwerben soll.

H.

Das Investment Agreement regelt insbesondere die Durchführung der beabsichtigten Kapitalerhöhung. Demnach verpflichten sich die Gesuchsteller, darauf hinzuwirken, dass die Zielgesellschaft

  1. eine Kapitalreduktion durch Herabsetzung des Nominalwertes je S+B-Aktie beschliesst, so dass eine Kapitalerhöhung wie zwischen den Gesuchstellern vereinbart, durchgeführt werden kann (wobei die der Kapitalherabsetzung durch Nennwertreduktion und die darauf folgende Kapitalerhöhung mindestens bis zur Höhe des bisherigen Aktienkapitals erfolgen soll); und

  2. eine Bezugsrechtskapitalerhöhung durchführt, wodurch der Zielgesellschaft Barmittel im Umfang von EUR 350 Mio. zufliessen sollen.

 

Hierfür verpflichtet sich die S+B KG-Gruppe alle erforderlichen Massnahmen zu ergreifen, damit eine oder zwei Generalversammlungen stattfinden resp. durch die Zielgesellschaft einberufen werden, und mit ihren S+B-Aktien so zu stimmen, dass die geplante Transaktion durchgeführt werden kann. Die S+B KG-Gruppe behält sich überdies im Investment Agreement vor, zu einem späteren Zeitpunkt allenfalls ein öffentliches Kaufangebot zum Erwerb aller sich im Publikum befindlichen S+B-Aktien zu unterbreiten, wobei sie in gemeinsamer Absprache mit Renova handeln würde.

I.

Das Shareholders Agreement regelt die Beziehung zwischen Venetos und der S+B KG-Gruppe nach der Kapitalerhöhung (u.a. wird auch die Zusammensetzung des künftigen Verwaltungsrats der Zielgesellschaft geregelt, der dannzumal mehrheitlich aus Vertretern von Renova und der S+B KG-Gruppe zusammengesetzt sein soll).

J.

Nach der erfolgten Transaktion soll Renova eine Beteiligung von mindestens 25,29 % (ev. mehr) halten und die Beteiligung der S+B KG-Gruppe wird höchstens noch 15,17 % betragen. Sowohl das Investment Agreement als auch das Shareholders Agreement stehen unter verschiedenen Bedingungen, namentlich derjenigen, dass sie nur dann verbindlich sind, wenn die Sanierungstransaktion keine Angebotspflicht auslöst.

K.

Am 26. April 2013 reichten die S+B KG-Gruppe und Venetos (zusammen die Gesuchsteller) ein Gesuch ein mit folgenden Anträgen (ergänzt mit Eingabe vom 22. Mai 2013, wonach die Bezeichnung „Renova“ im Antrag 1 und 2 für folgende Einheiten verwendet wird: Venetos, INDESTICOPLAZ TRADING LIMITED, Renova Industries Ltd, Renova Holding Ltd, TZ Columbus Services Ltd als Trustee des Columbus Trust sowie Viktor F. Vekselberg):

 

  1. Es seien die S+B Gruppe und Renova, soweit sie einzeln den Grenzwert von 33 1/3 % der Stimmrechte der S+B AG überschreiten, je einzeln sowie als organisierte Gruppe S+B KG/Renova im Sinne von Art. 31 BEHV-FINMA gemeinsam, von der Pflicht zu befreien, infolge des Abschlusses des Investment Agreement und Shareholders Agreement sowie der darin vereinbarten Sanierungstransaktion (und weiteren Regelungen in diesen beiden Vereinbarungen) und auch deren Vollzug ein öffentliches Kaufangebot für alle sich im Publikum befindenden S+B AG-Aktien zu unterbreiten.
  2. Es sei festzustellen, dass Renova (i) im Falle der Auflösung des mit der S+B Gruppe vereinbarten Shareholders Agreement und/oder (ii) im Falle des alleinigen Überschreitens der Beteiligungshöhe von 33 1/3 % an der S+B AG nach Abschluss der Sanierungs-Kapitalerhöhung keiner Angebotspflicht für alle sich im Publikum befindenden S+B AG-Aktien, unterliegt. Eventualiter sei Renova von der Pflicht zu befreien, in diesen beiden Fällen ein solches öffentliches Kaufangebot zu unterbreiten.
  3. Es sei der Schmolz+Bickenbach AG eine Frist von sieben Börsentagen anzusetzen, um zu diesem Gesuch Stellung zu nehmen resp. einen Bericht des Verwaltungsrates im Sinne von Art. 61 Abs. 3 UEV der Übernahmekommission einzureichen, der gleichzeitig mit der Veröffentlichung der Verfügung der Übernahmekommission zu veröffentlichen sei.
  4. Die Verfügung der Übernahmekommission über die Gewährung der Sanierungsausnahme sei nach Erlass durch die Übernahmekommission sofort zu veröffentlichen.
  5. Allfälligen qualifizierten Aktionären mit Parteistellung sowie der S+B AG sei Einsicht in die von den Gesuchstellern eingereichten Akten lediglich unter Strafandrohung gemäss Art. 292 StGB unter der Auflage zu gewähren, dass sie die erlangten Informationen vertraulich behandeln und nur im Zusammenhang mit diesem Verfahren verwenden und diese insbesondere keinen Medien und keinem Dritten, insbesondere auch keinen potentiellen Investoren, weitergeben.

Begründet werden die Anträge 1 und 2 im Wesentlichen damit, dass die geplante Transaktion der Sanierung der Zielgesellschaft diene, indem ihr neue Eigenmittel zufliessen würden. Die Sanierungsbedürftigkeit der Zielgesellschaft zeige sich darin, dass sie gemäss eigenen Angaben auf der Suche nach neuen Eigenkapitalgebern sei (vgl. Medienmitteilung vom 4. April 2013, Sachverhalt lit. F). Die Notwendigkeit für eine nachhaltige Sanierung sowie für die vorgeschlagene Kapitalerhöhung in der Höhe von EUR 350 Mio. basiere auf einer "Outside-In"-Analyse und einer detaillierten Auswertung der Kapitalstruktur resp. des Verschuldungsgrades von vergleichbaren Unternehmen: Die Aktienanalysten der Zürcher Kantonalbank und der Bank Vontobel, welche das Jahresergebnis 2012 bereits in ihren Einschätzungen berücksichtigt hätten, würden für das Finanzjahr 2013 einen Konzernverlust für die Zielgesellschaft von EUR 59 Mio. respektive EUR 35 Mio. erwarten. Im Vergleich zur Zielgesellschaft, die per 31. Dezember 2012 Nettofinanzverbindlichkeiten von 5.9x EBITDA 2012 aufgewiesen habe, habe diese wichtige Kennzahl bei Europäischen Stahlproduzenten durchschnittlich bei 3.0x EBITDA 2012 gelegen. Die Zielgesellschaft weise im Jahresergebnis 2012 eine Eigenkapitalquote von 26 % aus. Dies sei ein tiefer Wert im Vergleich zu den Europäischen Stahlproduzenten, welche eine durchschnittliche Eigenkapitalquote von 53 % im 2012 bilanzieren würden. Auf die weiteren Argumente der Gesuchsteller wird soweit erforderlich in den Erwägungen eingegangen.

L.

Mit Eingabe vom 16. Mai 2013 nahm die Zielgesellschaft innert Frist zum Gesuch vom 26. April 2013 Stellung und beantragt die Abweisung aller Anträge. Sie begründet dies im Wesentlichen damit, dass die Zielgesellschaft weder einzeln noch konsolidiert betrachtet sanierungsbedürftig sei. Ihre Existenz sei finanziell und operativ kurz- und mittelfristig gesichert: Zu Beginn des Monats März habe die Zielgesellschaft mit ihren kreditgebenden Banken Verhandlungen über die Anpassungen der Kreditvereinbarungen erfolgreich abgeschlossen, was mit Medienmitteilung vom 7. März 2013 kommuniziert worden sei (vgl. Sachverhalt lit. E). Damit seien die Zielgesellschaft und ihre Tochtergesellschaften mindestens bis zum April 2015 mit ausreichend Liquidität versorgt. Dass keine Sanierungsbedürftigkeit gegeben sei, zeige sich überdies anhand weitere Aspekte:

- Der Verwaltungsrat und die Konzernleitung hätten zusätzliche Anstrengungen unternommen, um das Verhältnis zwischen Eigen- und Fremdkapital zu verbessern. Zu diesem Zweck habe die Zielgesellschaft verschiedene mögliche Investoren eingeladen, sich an der Zielgesellschaft als neuer signifikanter Mehrheitsaktionär (ca. 20 %) zu beteiligen, darunter auch die Renova AG, welche zur gleichen Gruppe wie Venetos gehöre.

- Die bestehenden und abrufbaren liquiden Mittel des Unternehmens würden ca. 300 Millionen Euro betragen und auf jeden Fall genügen, den Betrieb bis Mitte 2015 fortzuführen.

- Mit den Banken sei darüber hinaus vereinbart worden, dass die Zielgesellschaft einen Berater mit einem strategischen Review mandatieren solle, was im April 2013 auch geschehen sei. Wären die Banken nicht vom Going Concern der Gesellschaft überzeugt, hätten sie sich sicher nicht zu diesem Schritt entschieden.

- Die Gruppe der S+B AG Gesellschaften habe an der Börse gehandelte Notes ausstehend, welche zur Zeit zu 101 % notieren würden. Dieser Kurs mache deutlich, dass die Gruppe der S+B AG Gesellschaften vom Markt nicht als Sanierungskandidat und der Zahlungsdienst nicht als gefährdet betrachtet werde.

- Der Abschluss für das erste Quartal werde am 22. Mai 2013 veröffentlicht (vgl. Sachverhalt lit. N). Es zeichne sich ein positives operatives Ergebnis ab; der Verwaltungsrat und die Konzernleitung könnten abschätzen, dass keine für eine Ausnahme vorausgesetzte Sanierungsbedürftigkeit vorliege. Das erwartete Ergebnis zeige, dass die bereits Ende letzten Jahres eingeleiteten Massnahmen (wie z.B. Kosteneinsparungsplan, Investitionseinsparungsplan, etc.) zu greifen begännen.

Überdies seien die von den Gesuchstellern vorgeschlagenen Massnahmen für eine Sanierung weder notwendig noch verhältnismässig. Mit ihren Anträgen würden die Gesuchsteller in Wahrheit bezwecken, unter dem Vorwand der Sanierung die Kontrolle über die Zielgesellschaft zu erwerben. Auf die weiteren Argumente der Zielgesellschaft wird soweit erforderlich in den Erwägungen eingegangen.

M.

Zusammen mit der Eingabe vom 16. Mai 2013 reichte die Zielgesellschaft eine Beurteilung der finanziellen Situation durch die Revisionsstelle Ernst & Young AG ein. Diese hat am 14. Mai 2013 bestätigt, dass die Fortführung der Gesellschaft resp. der Gruppe zum Zeitpunkt der Berichtsunterzeichnung für den Betrachtungszeitraum (bis zum 31. Dezember 2013) mit angemessener Sicherheit gegeben sei.

N.

Am 22. Mai 2013 publizierte die Zielgesellschaft ihren Quartalsbericht für das 1. Quartal 2013 und teilte in ihrer gleichentags publizierten Medienmitteilung mit, dass sich die Ergebnissituation deutlich verbessert habe, der Ausblick für 2013 angehoben werde und der Verwaltungsrat eine Kapitalerhöhung in einer Grössenordnung von ca. CHF 300 Mio. prüfe. In Einzelnen hätten sich der Auftragsbestand und Umsatz deutlich verbessert und das eingeleitete Kostensenkungsprogramm zeige erste Wirkung; für das Jahr 2013 werde ein bereinigtes EBITDA zwischen EUR 150 und 200 Mio. erwartet.

O.

Zur Prüfung dieser Angelegenheit wurde ein Ausschuss bestehend aus Luc Thévenoz (Präsident), Lionel Aeschlimann und Thomas Rufer gebildet.

 

Die Übernahmekommission zieht in Erwägung:

1.  Bestehen einer beherrschenden Gruppe

[1] Gemäss Art. 32 Abs. 1 BEHG muss diejenige Person, welche direkt, indirekt oder in gemeinsamer Absprache mit Dritten Beteiligungspapiere erwirbt und damit zusammen mit den Papieren, die sie bereits besitzt, den Grenzwert von 33 1/3 % der Stimmrechte einer Zielgesellschaft überschreitet, ob ausübbar oder nicht, ein Angebot für alle kotierten Beteiligungspapiere der Gesellschaft unterbreiten. Gemäss Praxis der Übernahmekommission bilden mehrere Sanierer zusammen eine Gruppe im Sinn von Art. 31 in Verbindung mit Art. 10 BEHV-FINMA, wenn sie ihr Stimmrechtsverhalten an der Generalversammlung der Zielgesellschaft abstimmen und sich im Hinblick auf die Sanierung der Zielgesellschaft koordinieren (zuletzt Verfügung 501/01 vom 2. April 2012 in Sachen Cytos Biotechnology AG, Erw. 1).

[2] Die Gesuchsteller koordinieren ihr Vorgehen bezüglich der (Finanzierungs-)Strategie der Zielgesellschaft im Investment Agreement und im Shareholders Agreement und regeln unter anderem auch die Zusammensetzung des Verwaltungsrates der Zielgesellschaft nach erfolgter Kapitalerhöhung. Sie bilden daher spätestens ab dem Zeitpunkt des Abschlusses dieser Verträge am 24. April 2013 eine Gruppe im Sinn von Art. 31 i.V.m. Art. 10 BEHV-FINMA. Beide Verträge stehen allerdings unter der Bedingung, dass sie nur dann verbindlich sind, wenn die geplante Transaktion keine Angebotspflicht auslöst.

 

2.  Ausnahme von der Angebotspflicht beim Erwerb zu Sanierungszwecken

[3] Gemäss Art. 32 Abs. 2 BEHG kann die Übernahmekommission in berechtigten Fällen Ausnahmen von der Angebotspflicht gewähren, namentlich bei Erwerb zu Sanierungszwecken (lit. e). Damit sollen Investoren privilegiert werden, welche die Gesellschaft in einer prekären Finanzlage zu unterstützen bereit sind, da in solchen Fällen das Interesse der Aktionäre am Fortbestand der Gesellschaft grösser sein kann als ihr Interesse an einem Pflichtangebot. Hätte ein solcher Erwerb eine Angebotspflicht zur Folge, könnten Sanierungen in vielen Fällen nur unter erschwerten Bedingungen oder gar nicht durchgeführt werden.

[4] Vor diesem Hintergrund ist Art. 32 Abs. 2 lit. e BEHG ein betriebswirtschaftlicher Sanierungs­begriff zugrunde zu legen. Demnach stellen alle Massnahmen Sanierungsmassnahmen dar, die dazu dienen, die einer wirtschaftlich Not leidenden Unternehmung anhaftenden, Existenz gefährdenden Schwächen zu beheben und ihre Ertragskraft wieder herzustellen. Die Mass­nahmen müssen notwendig und nach dem normalen Lauf der Dinge mit vernünftiger Wahrscheinlichkeit geeignet sein, den Fortbestand der betroffenen Gesellschaft zu sichern. Der Gesuchsteller hat darzulegen, dass er, ohne rechtlich bereits dazu verpflichtet gewesen zu sein, Leistungen erbringt oder auf Ansprüche verzichtet, um die Finanzlage der notleidenden Gesellschaft zu verbessern. Nicht verlangt werden kann hingegen eine Garantie für den langfristigen Erfolg von Sanierungsmassnahmen. Es genügt vielmehr, dass der Gesuchsteller den Nachweis erbringt, dass die gewählten Massnahmen in dieser Ausnahmesituation notwendig und nach dem normalen Lauf der Dinge mit vernünftiger Wahrscheinlichkeit geeignet sind, den Fortbestand der betroffenen Gesellschaft zu sichern (zuletzt Verfügung 501/01 vom 2. April 2012 in Sachen Cytos Biotechnology AG, Erw. 2 f.). Gemäss Sinn und Zweck soll die Sanierungsausnahme (erst) in einer Situation gewährt werden, in welcher sich ohne eine solche Ausnahme kaum ein Investor finden liesse.

2.1  Kein Sanierungsbedarf

[5] Vorliegend ist unbestritten, dass die Zielgesellschaft einen Bedarf an zusätzlichem Eigenkapital aufweist. Der Verwaltungsrat prüft derzeit eine mögliche Kapitalerhöhung in einer Grössenordnung von ca. CHF 300 Mio. (vgl. Medienmitteilung vom 22. Mai 2013, Sachverhalt lit. N).

[6] Entgegen der Auffassung der Gesuchsteller kann hieraus jedoch nicht auf eine Sanierungsbedürftigkeit im übernahmerechtlichen Sinn geschlossen werden. Dies würde zusätzlich – wie erwähnt – eine die Existenz gefährdende Schwäche voraussetzen. Eine solche ist indes nicht gegeben: Die Revisionsstelle Ernst & Young AG hat am 14. Mai 2013 bestätigt, dass die Fortführung der Gesellschaft für den Betrachtungszeitraum (bis zum 31. Dezember 2013) mit angemessener Sicherheit gegeben ist. Der Revisionsbericht zum Abschluss 2012 enthält ebenfalls keinen diesbezüglichen Vorbehalt. Diese Einschätzung der Prüfstelle wird dadurch gestützt, dass die Zielgesellschaft nach einer Anpassung der Kreditvereinbarungen bis April 2015 mit Liquidität versorgt ist. Damit ist die kurzfristige und mittelfristige Liquidität der Zielgesellschaft sichergestellt, was bei einer in ihrer Existenz bedrohten Gesellschaft typischerweise nicht mehr gegeben ist.

[7] Kommt hinzu, dass auch die gemäss Sinn und Zweck vorauszusetzende Subsidiarität, wonach eine Sanierungsausnahme (erst) in einer Situation gewährt werden sollte, in welcher sich ohne eine solche Ausnahme kaum ein Investor finden liesse, vorliegend nicht gegeben ist: Die Zielgesellschaft hat sich selbst auf die Suche nach möglichen Investoren gemacht und zusätzliche Massnahmen zur Verbesserung der finanziellen Situation ergriffen (vgl. Medienmitteilung vom 22. Mai 2013, Sachverhalt lit. N). Die Aussicht, auf diesem Weg geeignete Investoren zu finden, erscheint nicht unrealistisch.

2.2 Ergebnis

[8] Nach Gesagtem scheitert die Gewährung einer Sanierungsausnahme bereits daran, dass die Zielgesellschaft nicht im übernahmerechtlichen Sinne sanierungsbedürftig ist. Das Gesuch um Erteilung von Sanierungsausnahmen (Antrag 1) ist folglich abzuweisen.

[9] Das Gleiche gilt für den Antrag 2, wonach festzustellen sei, dass Renova im Falle der Auflösung des Shareholders Agreement und/oder im Falle des alleinigen Überschreitens der Beteiligungshöhe von 33 1/3 % an der Zielgesellschaft nach Abschluss der Sanierungs-Kapitalerhöhung keiner Angebotspflicht unterliege: Da keine Sanierungsausnahme gewährt wird, können auch spätere, kontrollrelevante Änderungen nicht von dieser Ausnahme abgedeckt sein.

[10] Bei diesem Ergebnis fallen sowohl das Investment Agreement als auch das Shareholders Agreement aufgrund der Bedingung (vgl. Sachverhalt lit. J) dahin, womit die Gruppe, bestehend aus den Gesuchstellern (und mit ihr die Angebotspflicht) aufgelöst wird bzw. nicht entsteht.

3.  Stellungnahme des Verwaltungsrats

[11] Wird der Übernahmekommission ein Gesuch um Gewährung einer Ausnahme von der Angebotspflicht oder um Feststellung des Nichtbestehens der Angebotspflicht eingereicht, so ist der Verwaltungsrat der Zielgesellschaft verpflichtet, eine Stellungnahme abzugeben und samt Dispositiv der Verfügung der Übernahmekommission und Hinweis auf das Einspracherecht gemäss Art. 61 UEV zu veröffentlichen. Die Stellungnahme hat die Überlegungen und die Argumentation des Verwaltungsrats zu enthalten, die ihn bewogen haben, das Gesuch zu unterstützen oder abzulehnen. Zudem sind allfällige Interessenskonflikte im Verwaltungsrat und eventuell in diesem Zusammenhang getroffene Massnahmen offenzulegen.

[12] Die Zielgesellschaft hat bis spätestens am 7. Juni 2013 die Stellungnahme des Verwaltungsrats samt Dispositiv der vorliegenden Verfügung und Hinweis auf das Einspracherecht zu publizieren. Massgebend für die Einhaltung dieser Frist ist die Veröffentlichung in den Zeitungen. Der Entwurf dieser Stellungnahme ist der Übernahmekommission vorab einzureichen.

4.  Verfahrensanträge

[13] Soweit Antrag 3 und 4 des Gesuchs vom 26. April 2013 auf eine Abweichung von der Praxis der Übernahmekommission abzielen, wonach die Verfügung der Übernahmekommission gleichzeitig mit der Stellungnahme des Verwaltungsrats zu veröffentlichen ist, ist ihnen nicht stattzugeben. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb von dieser Praxis abgewichen werden sollte.

[14] Bezüglich Antrag 5 entschied der Präsident der Übernahmekommission bereits mit verfahrensleitender Verfügung vom 8. Mai 2013 hinsichtlich des Akteneinsichtsrechts, dass die Zielgesellschaft Einsicht in die Beilagen 5-9 und 14 zum Gesuch vom 26. April 2013 erhält unter der Auflage, dass die dadurch erlangten Informationen nur den mit dem vorliegenden Verfahren befassten Personen zu Verfügung gestellt und nur im Zusammenhang mit diesem Verfahren verwendet werden dürfen. Eine Weitergabe an Dritte, inklusive übrige Personen innerhalb der Organisation von S+B AG, Medien und potentielle Investoren, wurde untersagt.

[15] Die Zielgesellschaft beantragt in ihrer Eingabe vom 16. Mai 2013 die Aufhebung dieser Auflage. Wie jedoch bereits in der verfahrensleitenden Verfügung vom 8. Mai 2013 festgestellt wurde, enthalten die genannten Beilagen potentielle Geschäftsgeheimnisse der Gesuchsteller und es ist seitens der Gesuchsteller zu berücksichtigen, dass die Weitergabe von nicht öffentlich zugänglichen Informationen, insbesondere an die Medien, die Gefahr birgt, dass Gerüchte und Falschinformationen in Umlauf geraten, welche die Aktionäre und den Markt verwirren. Zudem könnten andere potentielle Investoren unter Umständen eine allfällige Kenntnis über den Inhalt dieser Beilagen zum eigenen Vorteil ausnutzen. Seitens der Zielgesellschaft ist demgegenüber zu berücksichtigen, dass ihr die Akteneinsicht nur (aber immerhin) ermöglichen soll, die Grundlagen zur Verteidigung ihrer Interessen im Verfahren erarbeiten bzw. ergänzen zu können (vgl. Alfred Kölz/Isabelle Häner, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Aufl., Zürich 1998, S. 107 f.). Die Akteneinsicht dient jedoch nicht dazu, die dadurch erworbenen Informationen ausserhalb des betreffenden Verfahrens zu verwenden, insbesondere an Dritte, wie Medien, weiterzugeben.

[16] Vor diesem Hintergrund ist an der mit verfahrensleitender Verfügung vom 8. Mai 2013 gemachten Auflage festzuhalten. Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass die Zielgesellschaft über Informationen, welche sie den übrigen Akten entnimmt oder welche öffentlich bekannt sind, uneingeschränkt kommunizieren kann.

[17] Über das im Antrag 5 ebenfalls gestellte Begehren, wonach das Akteneinsichtsrecht von allfälligen qualifizierten Aktionären mit Parteistellung einzuschränken sei, wird entschieden, falls solche Aktionäre dem Verfahren beitreten sollten.

5.  Publikation

[18] In Verfahren betreffend die Angebotspflicht ist die Zielgesellschaft verpflichtet, die Veröffentlichung gemäss Art. 61 UEV vorzunehmen. Diese Veröffentlichung hat bis spätestens am 7. Juni 2013 zu erfolgen (vgl. Erw. 3). Die vorliegende Verfügung wird gleichentags auf der Website der Übernahmekommission veröffentlicht (Art. 33a Abs. 1 BEHG).

6.  Gebühr

[19] Gemäss Art. 69 Abs. 6 UEV wird für die Prüfung von Gesuchen betreffend die Angebotspflicht eine Gebühr erhoben. Vorliegend erscheint eine Gebühr von CHF 25'000 zulasten der Gesuchsteller als angemessen. Die Gesuchsteller haften hierfür solidarisch.

 

Die Übernahmekommission verfügt:

  1. Das Gesuch von Schmolz + Bickenbach GmbH & Co. KG, Schmolz + Bickenbach Beteiligungs GmbH & Co. KG, Schmolz + Bickenbach Beteiligungs GmbH, Schmolz + Bickenbach Stahlcenter AG, Schmolz + Bickenbach Holding AG, Schmolz + Bickenbach Finanz AG sowie Venetos Holding AG vom 26. April 2013 betreffend Ausnahmen von der Angebotspflicht bzw. Feststellung des Nichtbestehens einer Angebotspflicht im Zusammenhang mit der geplanten Transaktion bezüglich Schmolz + Bickenbach AG wird abgewiesen.
  2. Schmolz + Bickenbach AG wird Akteneinsicht im Umfang und unter der Auflage gemäss verfahrensleitender Verfügung vom 8. Mai 2013 gewährt.
  3. Die übrigen Anträge werden abgewiesen.
  4. Schmolz + Bickenbach AG hat die Stellungnahme ihres Verwaltungsrats samt Dispositiv der vorliegenden Verfügung und Hinweis auf das Einspracherecht bis spätestens am 7. Juni 2013 zu veröffentlichen. Der Entwurf der Stellungnahme ist der Übernahmekommission vorab einzureichen.
  5. Diese Verfügung wird am Tag der Publikation der Stellungnahme des Verwaltungsrats auf der Webseite der Übernahmekommission veröffentlicht.
  6. Die Gebühr zu Lasten von Schmolz + Bickenbach GmbH & Co. KG, Schmolz + Bickenbach Beteiligungs GmbH & Co. KG, Schmolz + Bickenbach Beteiligungs GmbH, Schmolz + Bickenbach Stahlcenter AG, Schmolz + Bickenbach Holding AG, Schmolz + Bickenbach Finanz AG und Venetos Holding AG beträgt CHF 25'000, unter solidarischer Haftung.

 

Der Präsident:

 

Prof. Luc Thévenoz

 

 

Diese Verfügung geht an die Parteien:

- S+B AG, vertreten durch Dr. Rudolf Tschäni, Lenz & Staehelin und Jörg Walther, Schärer Rechtsanwälte;

- Schmolz + Bickenbach GmbH & Co. KG, Schmolz + Bickenbach Beteiligungs GmbH & Co. KG, Schmolz + Bickenbach Beteiligungs GmbH, Schmolz + Bickenbach Stahlcenter AG, Schmolz + Bickenbach Holding AG, Schmolz + Bickenbach Finanz AG, vertreten durch Dr. Beat Brechbühl und Christophe Scheidegger, Kellerhals Anwälte;

-Venetos Holding AG, vertreten durch Dr. Dieter Dubs und Dr. Ralph Malacrida, Bär & Karrer AG.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Beschwerde (Art. 33c des Börsengesetzes, SR 954.1):

Gegen diese Verfügung kann innerhalb von fünf Börsentagen Beschwerde bei der Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA, Einsteinstrasse 2, CH-3003 Bern erhoben werden. Die Frist beginnt am ersten Börsentag nach Eröffnung der Verfügung per Telefax oder auf elektronischem Weg zu laufen. Die Beschwerde hat den Erfordernissen von Art. 33c Abs. 2 BEHG und Art. 52 VwVG zu genügen.

Einsprache (Art. 58 der Übernahmeverordnung, SR 954.195.1):

Ein Aktionär, welcher eine Beteiligung von mindestens 3 Prozent der Stimmrechte an der Zielgesellschaft, ob ausübbar oder nicht, nachweist (qualifizierter Aktionär, Art. 56 UEV), kann gegen die vorliegende Verfügung Einsprache erheben.

Die Einsprache ist bei der Übernahmekommission (Selnaustrasse 30, Postfach, CH - 8021 Zürich, counsel@takeover.ch, Telefax: +41 58 499 22 91) innerhalb von fünf Börsentagen nach der Veröffentlichung des Dispositivs der vorliegenden Verfügung in den Zeitungen einzureichen. Die Frist beginnt am ersten Börsentag nach der Veröffentlichung zu laufen.

Die Einsprache muss einen Antrag und eine summarische Begründung sowie den Nachweis der Beteiligung gemäss Art. 56 UEV enthalten.