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0193 - Società Elettrica Sopracenerina S.A.

Empfehlung Società Elettrica Sopracenerina S.A. vom 13. Mai 2004

Gesuch der UBS AG, Zürich und Basel, um Gewährung einer Ausnahme von der Pflicht zur Unterbreitung eines öffentlichen Kaufangebotes für alle sich im Publikum befindenden Aktien der Società Elettrica Sopracenerina

A.
Die Società Elettrica Sopracenerina („SES“ oder „Zielgesellschaft“) ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Locarno. Ihr Aktienkapital beträgt CHF 27’500'000, eingeteilt in 1'100'000 Namenaktien mit einem Nennwert von je CHF 25. Die Aktien sind an der SWX Swiss Exchange („SWX“) kotiert. Die Statuten der SES enthalten keine Opting out-Klausel.

B.
Die Aare-Tessin AG für Elektrizität („Atel“) ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Olten. Ihr Aktienkapital beträgt CHF 303'600'000, eingeteilt in 3'036'000 Namenaktien mit einem Nennwert von je CHF 100. Die Aktien sind an der SWX Swiss Exchange („SWX“) kotiert. Die Atel hält eine 59.5%-Beteiligung an der SES. Die Statuten der Atel enthalten keine Opting out-Klausel.

C.
Die Motor-Columbus AG („Motor-Columbus“) ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Baden. Ihr Aktienkapital beträgt CHF 253'000'000, eingeteilt in 506'000 Inhaberaktien mit einen Nennwert von je CHF 500. Die Aktien sind an der SWX kotiert. Die Statuten der Motor-Columbus enthalten eine Opting out-Klausel.

Motor-Columbus ist eine Holdinggesellschaft mit Beteiligungen vor allem im Energiebereich. Als wichtigste Beteiligung hält sie 58.5% aller Namenaktien der operativ tätigen Atel.

D.
Die UBS AG („UBS“ oder „Anbieterin“ oder „Gesuchstellerin“) ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Zürich und Basel. Ihr Aktienkapital beträgt CHF 946'437'411.20, eingeteilt in 1'183'046'764 Namenaktien mit einen Nennwert von je CHF 0.80. Die Aktien sind an der SWX kotiert.

Die UBS AG hält derzeit 35.6% der Inhaberaktien der Motor-Columbus. Weitere bedeutende Aktionäre sind die RWE Plus Beteiligungsgesellschaft Zentral mbH („RWE“), Deutschland, sowie die Electricité de France („EDF“), Frankreich, die je 20% der Inhaberaktien an Motor-Columbus halten. Die drei Aktionäre bilden heute aufgrund eines im Jahre 1996 abgeschlossenen Aktionärsbindungsvertrages (Konsortialvertrages) eine „organisierte Gruppe“ im Sinne von Art. 27 BEHV-EBK i.V.m. Art. 15 Abs. 1 BEHV-EBK, welche seit 1996 eine Beteiligung von insgesamt 75.6% an der Motor-Columbus hält.

E.
Am 31. März 2004 unterbreitete die UBS der Übernahmekommission ein Gesuch mit dem Antrag, es sei ihr und den nach dem Vollzug des beabsichtigten Erwerbs von 101'200 Aktien der Motor-Columbus mit ihr in gemeinsamer Absprache handelnden Personen eine Ausnahme von der Pflicht zur Unterbreitung eines Angebotes für die Aktien der SES zu gewähren. Am 27. April 2004 reichte die Gesuchstellerin auf Verlangen der Übernahmekommission einen Nachtrag mit weiterführenden Angaben zur Begründung des Gesuchs vom 31. März ein.

F.
Am 2. April 2004 schlossen UBS und RWE einen Kaufvertrag ab, in dem sich UBS verpflichtet, von RWE 101'200 Inhaberaktien der Motor-Columbus zu einem Preis von CHF 3'700 pro Aktie und 37'253 Namenaktien der Atel zu einem Preis von CHF 1'220 pro Aktie zu erwerben (nachfolgend „Kaufvertrag“). Der Vollzug dieses Kaufvertrages, mit dem UBS ihre Beteiligung an Motor-Columbus von 35.6% auf 55.6% erhöhen wird, ist an die Bedingung geknüpft, dass die zuständigen Wettbewerbsbehörden, namentlich der Schweiz, von Ungarn, der Slowakei und der Europäischen Union („EU“), wenn sich die EU für zuständig erklärt (andernfalls von Deutschland und Österreich), den Erwerb des Kaufgegenstandes rechtskräftig genehmigt und/oder eine Freistellungsbescheinigung erteilt und/oder die Prüfungsfrist unbenützt verstreichen lassen.

Durch den Verkauf ihrer sämtlichen Motor-Columbus Aktien wird die RWE als Partei des oben erwähnten Aktionärsbindungsvertrages (vgl. oben lit. D.) ausscheiden, und dieser wird voraussichtlich zwischen der UBS und der EDF allein weitergeführt werden.

G.
Mit verfahrensleitender Anordnung vom 5. April 2004 wurde der Verwaltungsrat der SES aufgefordert, im Namen aller (Minderheits)-Aktionäre zum oben erwähnten Ausnahmegesuch (vgl. lit. E.) Stellung zu nehmen. Innert erstreckter Frist teilte dieser der Übernahmekommission in einer begründeten Stellungnahme mit, dass er das Ausnahmegesuch der UBS unterstütze.

H.
Am 5. April 2004 veröffentlichte UBS in den elektronischen Medien die Voranmeldung eines öffentlichen Kaufangebots für alle sich im Publikum befindenden Namenaktien der Atel. Am 7. April 2004 erfolgte die Publikation der Voranmeldung in den Tageszeitungen in deutscher, französischer und italienischer Sprache gemäss Art. 8 Abs. 1 UEV-UEK.

Die Voranmeldung sieht für das Kaufangebot die folgenden Bedingungen vor:

a) Alle zuständigen Behörden (insbesondere Wettbewerbsbehörden) haben den Erwerb von 101'200 Inhaberaktien der Motor-Columbus von je CHF 500 Nennwert und 37'253 Namenaktien der Atel von je CHF 100 Nennwert durch UBS von der RWE rechtskräftig genehmigt und/oder eine Freistellungsbescheinigung erteilt und/oder die Prüfungsfrist unbenützt verstreichen lassen.

b) Der Kaufvertrag zwischen UBS und RWE wird vollzogen.

I.
Ebenfalls am 5. April 2004 veröffentlichte UBS in den elektronischen Medien die bedingte Voranmeldung eines öffentlichen Kaufangebots für alle sich im Publikum befindenden Namenaktien der SES. Am 7. April 2004 erfolgte die Publikation der Voranmeldung in den Tageszeitungen in deutscher, französischer und italienischer Sprache gemäss Art. 8 Abs. 1 UEV-UEK.

Die bedingte Voranmeldung sieht für das Kaufangebot die folgenden Bedingungen vor:

a) Alle zuständigen Behörden (insbesondere Wettbewerbsbehörden) haben den Erwerb von 101'200 Inhaberaktien der Motor-Columbus von je CHF 500 Nennwert und 37'253 Namenaktien der Atel von je CHF 100 Nennwert durch UBS von der RWE rechtskräftig genehmigt und/oder eine Freistellungsbescheinigung erteilt und/oder die Prüfungsfrist unbenützt verstreichen lassen.

b) Der Kaufvertrag zwischen UBS und RWE wird vollzogen.

c) UBS wird keine rechtskräftige Ausnahme von der Pflicht zur Unterbreitung eines öffentlichen Kaufangebotes für alle ausstehenden Namenaktien der Sopracenerina erteilt.

J.
Am 14. April 2004 legte die UBS der Übernahmekommission ein Gesuch vor mit dem Antrag, es sei ihr durch entsprechende Erstreckung der Sechs-Wochen-Frist nach Art. 9 Abs. 1 UEV-UEK zu erlauben, sofern keine Ausnahme von der Angebotspflicht aufgrund des Gesuches vom 31. März 2004 erteilt werde (vgl. dazu oben lit. E.), das am 5. April 2004 vorangemeldete öffentliche Kaufangebot für alle sich im Publikum befindenden Namenaktien von je CHF 25 Nennwert der SES voraussichtlich am 12. Juli 2004 zu veröffentlichen. Am 22. April 2004 reichte die Gesuchstellerin auf Verlangen der Übernahmekommission einen Nachtrag mit weiterführenden Angaben zur Begründung des Gesuchs vom 14. April 2004 ein.

K.
Zur Prüfung dieser Angelegenheit wurde ein Ausschuss bestehend aus Herrn Hans Caspar von der Crone (Präsident), Herrn Henry Peter und Herrn Alfred Spörri gebildet.


Die Übernahmekommission zieht in Erwägung:

1. Angebotspflicht im Sinne von Art. 32 BEHG

1.1
Gemäss Art. 32 Abs. 1 BEHG muss diejenige Person, welche direkt, indirekt oder in gemeinsamer Absprache mit Dritten Beteiligungspapiere erwirbt und damit mit den Papieren, die sie bereits besitzt, den Grenzwert von 33 1/3% der Stimmrechte einer Zielgesellschaft, ob ausübbar oder nicht, überschreitet, ein Angebot für alle kotierten Beteiligungspapiere der Gesellschaft unterbreiten.

1.2 Als indirekter Erwerb gilt gemäss Art. 26 BEHV-EBK i.V.m. Art. 9 Abs. 3 lit. c BEHV-EBK der Erwerb und die Veräusserung einer Beteiligung, die direkt oder indirekt die Beherrschung einer juristischen Person vermittelt, welche ihrerseits direkt oder indirekt Beteiligungspapiere hält.

1.3 Bis anhin wurde die Sopracenerina indirekt von einer durch einen Aktionärsbindungsvertrag verbundenen, organisierten Gruppe im Sinne von Art. 27 BEHV-EBK i.V.m. Art. 15 Abs. 1 BEHV-EBK gemeinsam gehalten. Diese Gruppe setzte sich aus UBS (35.6%), RWE (20%) und EDF (20%) zusammen und hielt insgesamt 75.6% der Stimmrechte der Motor-Columbus, welche ihrerseits eine 58.5%-Beteiligung an der Atel hält, welche wiederum im Besitz einer 59.5%-Beteiligung an der SES ist (vgl. oben Sachverhalt lit. D.).

Wie bereits erörtert hat die UBS die Absicht, die ihr von der RWE, also einem Gruppenmitglied, angebotene Beteiligung an der Motor-Columbus zu erwerben (vgl. Sachverhalt lit. F.). Nach Vollzug dieses Kaufvertrages wird RWE als Partei des Aktionärsbindungsvertrages ausscheiden und die UBS über 55.6% der Stimmrechte der Motor-Columbus verfügen. Ob und wie der Aktionärbindungsvertrag zwischen UBS und EDF weitergeführt wird, ist zur Zeit noch nicht klar. Die Frage kann jedoch im Augenblick offen bleiben. Dies deshalb, da – unabhängig davon, ob UBS und EDF weiterhin eine Gruppe im Sinne von Art. 27 BEHV-EBK i.V.m. Art. 15 Abs. 1 BEHV-EBK bilden werden – der Vollzug des Kaufvertrags grundsätzlich dazu führt, dass UBS mit 55.6% die absolute Mehrheit der Stimmrechte der Motor-Columbus erwirbt, d.h. eine wesentliche Änderung der bisherigen Stimmrechtsverhältnisse stattfindet, welche im Ergebnis der UBS indirekt im Sinne von Art. 26 BEHV-EBK i.V.m. Art. 9 Abs. 3 lit. c BEHV-EBK die Kontrolle über die SES vermittelt.

2. Ausnahme von der Angebotspflicht im Sinne von Art. 32 Abs. 2 BEHG

2.1
Die Gesuchstellerin stellt im vorliegenden Fall den Antrag, es sei ihr und den nach dem Vollzug des beabsichtigten Erwerbs von Aktien der Motor-Columbus mit ihr in gemeinsamer Absprache handelnden Personen aufgrund von Art. 32 Abs. 2 BEHG i.V.m Art. 34 Abs. 2 lit. c BEHV-EBK eine Ausnahme von der Pflicht zur Unterbreitung eines Angebotes für die Aktien der SES zu gewähren (vgl. Sachverhalt lit. E.).

2.2 Gemäss Art. 32 Abs. 2 BEHG kann in berechtigten Fällen eine Ausnahme von der Angebotspflicht gewährt werden. Als „berechtigter Fall“ im Sinne von Art. 32 Abs. 2 BEHG gilt gemäss Art. 34 Abs. 2 lit. c BEHV-EBK der Fall, in dem der die Angebotspflicht auslösende Erwerb indirekt im Sinne von Art. 26 BEHV-EBK i.V.m Art. 9 Abs. 3 lit. c BEHV-EBK erfolgt, dieser Erwerb nicht zu den Hauptzielen der Transaktion zählt und die Interessen der Aktionäre der Zielgesellschaft gewahrt bleiben. Da unbestritten ist, dass ein indirekter Erwerb im oben genannten Sinne vorliegt, muss in casu somit noch geprüft werden, ob dieser Erwerb nicht zu den Hauptzielen der Transaktion zählt und die Interessen der Aktionäre der Zielgesellschaft gewahrt bleiben.

2.3  Es kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass ein indirekter Erwerb dann nicht zu den Hauptzielen einer Transaktion gehört, wenn die Transaktion auch ohne diesen indirekten Erwerb vorgenommen worden wäre. Im vorliegenden Fall muss somit geprüft werden, ob die SES bzw. ihre Geschäftstätigkeiten innerhalb der Atel-Gruppe eine Bedeutung einnehmen, aufgrund welcher anzunehmen ist, dass der Kauf von Motor-Columbus Aktien durch die UBS – auch unter Berücksichtigung einer allenfalls geplanten zukünftigen Neupositionierung der Motor-Columbus- / Atel Gruppe – ohne die SES-Beteiligung nicht getätigt worden wäre.

2.3.1  Mit einem Absatz von rund 68 TWh im physischen Stromgeschäft, einem Handelsgeschäft mit Standardprodukten im Umfang von rund 67 TWh, einer Marktkapitalisierung von CHF 2.975 Mia (per Ende 2003) und einem Umsatz von rund CHF 5.285 Mia (Geschäftsjahr 2003) ist Atel das führende europaweit tätige, integrierte Elektrizitätsunternehmen der Schweiz. Atel ist im Stromhandel, in der Stromproduktion und im Segment Energieservice (Energiedienstleistungen) europaweit mit eigenen Tochtergesellschaften und Niederlassungen aktiv.

Organisatorisch gliedert sich Atel in die zwei Segmente Energie und Energieservice. Das Segment Energie umfasst die Bereiche Stromhandel und –vertrieb sowie Stromproduktion und Netz und trägt ungefähr 70% zum konsolidierten Umsatz bei.

  • Stromhandel und –vertrieb: Atel verfügt über eigene Niederlassungen und Partnerschaften in mehreren Ländern und beliefert Verbundunternehmen, Vertriebspartner und Stadtwerke sowie Industrie- und Dienstleistungsunternehmen in ganz Europa. Daneben ist Atel auch ein wichtiger Marktteilnehmer europäischer Strombörsen.
  • Stromproduktion und Netz: Atel ist einer der grössten Stromproduzenten der Schweiz. Sie betreibt in der Schweiz Wasser- und Nuklearkraftwerke, welche einen inländischen Marktanteil von ungefähr 12% resp. 7% aufweisen. Zudem verfügt sie in Italien, Ungarn und Tschechien über eigene Produktionsstandorte. Atel transportiert einen wesentlichen Teil des Stroms über ein eigenes Netz zu ihren Kunden. Ihr Höchstspannungsnetz ist wegen der strategischen Lage bedeutend für den europäischen Stromhandel. Atel verfügt über rund 17% des Schweizer Übertragungsnetzes und über 42% der Kapazitäten von der Schweiz nach Italien.

Das Segment Energieservice (Energiedienstleistungen) trägt rund 30% zum konsolidierten Umsatz bei. Energieservice umfasst die Energieversorgungs-, Kommunikations, Industrie/Anlagentechnik sowie Gebäudetechnik und –management. Die Leistungen reichen von der Projektierung über den Bau und Betrieb bis zur Instandhaltung. Gemeinsam mit der Atel Installationstechnik-Gruppe und der GAH-Gruppe betreibt Atel in Europa ein dichtes Niederlassungsnetz mit Schwerpunkten in der Schweiz, in Deutschland und Italien.

2.3.2  Die SES ist mit rund 75'000 Kunden in 107 Gemeinden des Sopraceneri und des unteren Misox der zweitwichtigste Stromversorger des Kantons Tessin, wobei die elektrischen Anlagen in 105 dieser Gemeinden direkt der SES gehören. SES verfügt über zwei kleinere Wasserkraftwerke, die für ca. 5% des durch die SES verkauften Stromes aufkommen. Die übrigen 95% werden bei der Azienda Elettrica Ticinese („AET“), dem kantonalen Elektrizitätswerk, eingekauft. Bei AET handelt es sich um eine selbständige öffentlichrechtliche Anstalt, die dem Kanton Tessin gehört. Gemäss gesetzlicher Vorschrift (Art. 3 Legge cantonale che istituisce l’Azienda Elettrica Ticinese, LAET) muss die SES bei AET den Strom einkaufen, sofern nicht ein Dritter den Strom zu günstigeren Konditionen anbietet.

Bei SES handelt es sich somit im Wesentlichen um einen regionalen Stromverteiler. Der grösste Teil der Einnahmen (rund 80%) stammt von Kleinverbrauchern. Die Gemeinden arbeiten mit der SES auf der Basis von Konzessionen zusammen, welche es ihnen erlauben, sich am finanziellen Erfolg der SES zu beteiligen. Im Übrigen versteht sich die SES als privatrechtliche Gesellschaft, welche auch andere Geschäftsaktivitäten von regionalem Interesse ausübt. Die SES ist denn auch in anderen regional verankerten Gesellschaften, insbesondere Immobiliengesellschaften, tätig. Mit den übrigen Schweizer Elektrizitätsgesellschaften ist die SES über ihren Mehrheitsaktionär, die Atel, verbunden.

Aufgrund der gesetzlich vorgeschriebenen Energiebezugspflicht der SES von AET unterhält die Atel keine nennenswerten Geschäftsbeziehungen zur SES. Die SES verfügt insbesondere auch über keine Hochspannungsleitungen, die von Atel für den Transport von Strom nach Italien benötigt werden. Im Übrigen versteht sich Atel in erster Linie auch nicht als Regionalversorger, sondern – wie erwähnt – als europaweit tätige Energiehandelsgesellschaft mit bedeutenden Wasser- und Nuklearanlagen sowie mit im europäischen Stromhandelsnetz strategisch wichtigen Hochspannungsleitungen nach Italien. Der Beitrag des Bereiches Regionalversorgung zum strategischen Wert der Atel ist denn insgesamt auch gering. So beträgt gemäss Geschäftsbericht 2003 der Anteil des Energieabsatzes im Bereich „Regionale Versorger Schweiz“ ca. 5%. Der Anteil der SES am Gesamtgeschäft der Atel macht denn auch lediglich rund 2.0% des Absatzes in kWh bzw. rund 2.8% des Umsatzes in CHF aus.

2.3.3  Aufgrund des Erörterten ist offensichtlich, dass die SES innerhalb der Atel-Gruppe weder unter dem Aspekt der Stromproduktion noch in sonstiger Hinsicht (Infrastruktur, Leitungen etc.) eine strategisch wichtige Stellung einnimmt. Die Geschäftstätigkeiten der SES innerhalb der Atel-Gruppe sind derart marginal, dass die Atel ohne Einschränkungen auch ohne die Beteiligung in SES operieren könnte. Aufgrund dieser geschäftsmässig und strategisch marginalen Bedeutung der SES für Atel – und damit auch für den Wert der Motor-Columbus Aktien und für eine allfällige zukünftige Neupositionierung der Motor-Columbus- / Atel-Gruppe ist nicht anzunehmen, dass der Kauf von Motor-Columbus Aktien ohne die SES-Beteiligung nicht vorgenommen worden wäre. Demzufolge ist davon auszugehen, dass der indirekte Erwerb der SES-Beteiligung nicht zu den Hauptzielen der Transaktion der UBS gehört.

2.4  An dieser Stelle muss somit gemäss Art. 34 Abs. 2 lit. c BEHV-EBK noch geprüft werden, ob die Interessen der (Minderheits-)Aktionäre der indirekt übernommenen Gesellschaft als gewahrt betrachtet werden können.

2.4.1  Hauptzweck der Angebotspflicht gemäss Art. 32 BEHG ist der Schutz der Minderheitsaktionäre: Diese sollen im Falle veränderter Kontrollverhältnisse die Möglichkeit erhalten, aus ihrer Investition auszusteigen. Diesem Zweck und somit dem Ausstiegsrecht liegt die Vermutung zu Grunde, dass der Erwerber einer Kontrollmehrheit seine Kontrollmöglichkeiten wahrnehmen und Einfluss auf die strategische und operative Führung der Gesellschaft ausüben wird. Ist dies hingegen nicht der Fall und belässt der Erwerber der indirekt erworbenen Zielgesellschaft derselben ihre operative Selbständigkeit, kann davon ausgegangen werden, dass die Interessen der Minderheitsaktionäre als “gewahrt“ im Sinne von Art. 34 Abs. 2 lit. c BEHV-EBK gelten.

Die Wahrung der operativen Selbständigkeit impliziert indessen nicht, dass eine Konzernmutter ihre durch indirekten Erwerb akquirierte Tochter überhaupt nicht organisatorisch in den Konzern eingliedern und einer minimalen Aufsicht und Kontrolle unterstellen darf. Ein totaler Aufsichts- und Kontrollverzicht der Muttergesellschaft ist weder im Interesse der Tochtergesellschaft noch im Interesse ihrer Aktionäre. Insbesondere darf der Erwerber seine Rechte als Aktionär und in dieser Funktion auch sein Recht auf eine optimale Bewirtschaftung seiner Beteiligung geltend machen und beispielsweise an einer im Interesse der indirekt übernommenen Tochtergesellschaft – insbesondere in Krisenzeiten – allenfalls neu vorzunehmenden Besetzung ihres Verwaltungsrats mitwirken.

Hingegen darf die Konzernintegration nicht zu einer vollständigen Einordnung der Tochtergesellschaft in den Konzern mit operativer Kompetenzattraktion der Muttergesellschaft und damit korrelierendem Entzug zentraler Leitungsfunktionen bei der indirekt erworbenen Tochtergesellschaft führen. Die Integration der indirekt erworbenen Gesellschaft in den Konzern darf also nicht so weit gehen, dass ihre operative Selbständigkeit aufgehoben bzw. massgeblich beschnitten und ihre einzelgesellschaftliche Interessenverfolgung durch die Interessenverfolgung des Konzerns überlagert wird. Die Wahrung der Interessen der Aktionäre im Sinne von Art. 34 Abs. 2 lit. c BEHV-EBK und die Nichtgewährung ihres Ausstiegsrechts im Sinne von Art. 32 BEHG setzen eben voraus, dass in Bezug auf die Geschäftsführung der Status quo ohne bedeutsamen Einfluss des Erwerbers fortgesetzt und somit der Tochtergesellschaft – trotz Kontrollwechsel und allfälliger organisatorischer Eingliederung in den Konzern – ihre operative Selbständigkeit belassen wird und ihre Interessen nicht denen des Konzerns als ganzem untergeordnet werden.

2.4.2  Was SES anbelangt, so ist diese bereits heute in den Atel-Konzern integriert. Atel hätte demzufolge bereits gemäss den heutigen Beteiligungsverhältnissen die Möglichkeit gehabt, auf die Geschäftsführung und operative Tätigkeit der SES Einfluss zu nehmen. Gemäss Aussage der Gesuchstellerin aber auch gemäss Stellungnahme des Verwaltungsrates der SES geniesst die SES allerdings traditionell erhebliche Freiheiten in der Geschäftsführung. Es habe diesbezüglich in der Vergangenheit weder seitens der UBS noch seitens der Motor-Columbus bzw. der Atel eine direkte oder indirekte Einflussnahme in die operative Tätigkeit und Führung der SES gegeben.

Die UBS ist im vorliegenden Fall ein reiner Finanzinvestor bei der Motor-Columbus / Atel-Gruppe. Die Beteiligung an der Motor-Columbus hat für die UBS heute, aber auch in Zukunft, offensichtlich keine strategische Bedeutung. Basierend auf dieser Ausgangslage besteht eine tatsächliche Vermutung, dass es auch in Zukunft keine direkte oder indirekte Einflussnahme der UBS oder der Atel auf den Geschäftsgang oder die Geschäftspolitik und somit auf die operative Selbständigkeit der SES geben wird. Diese Vermutung rechtfertigt sich umso mehr, als UBS im vorliegenden Fall als reiner Finanzinvestor auftritt und sich das Geschäftsfeld der UBS ferner wesentlich von der Geschäftstätigkeit der SES wie auch der Motor-Columbus und der Atel unterscheidet. Überdies nimmt SES im Rahmen des Atel-Konzerns keine strategisch wichtige Position ein. Hingegen wäre eine solche Vermutung dann nicht mehr a priori gerechtfertigt, wenn es sich beim indirekten Erwerber nicht um einen reinen Finanzinvestor wie die UBS handeln würde.

2.5  Abschliessend kann somit festgehalten werden, dass die Voraussetzungen einer auf Art. 34 Abs. 2 lit. c BEHV-EBK gestützten Gewährung einer Ausnahme von der Angebotspflicht erfüllt sind. Ob diese Voraussetzungen auch im Fall eines Weiterverkaufs der Motor-Columbus-Beteiligung erfüllt wären, müsste indessen alsdann unter Beachtung der konkreten Umstände des Einzelfalls von der Übernahmekommission von neuem geprüft und beurteilt werden. Dies insbesondere dann, wenn der Erwerber nicht mehr – wie im vorliegenden Fall die UBS – ein Finanzinvestor ist.

3. Gegenstandslosigkeit des Gesuchs um Verlängerung der Sechs-Wochen-Frist nach Art. 9 Abs. 1 UEV-UEK

Das von der UBS eingereichte Gesuch um Verlängerung der Sechs-Wochen-Frist nach Art. 9 Abs. 1 UEV-UEK zur Unterbreitung eines öffentlichen Kaufangebotes für alle sich im Publikum befindenden Namenaktien der SES (vgl. Sachverhalt lit. J.) ist aufgrund der Gewährung der Ausnahme von der Angebotspflicht als gegenstandslos zu betrachten.

4. Stellungnahme der Mitglieder des Verwaltungsrats der Zielgesellschaft

In der Stellungnahme der Mitglieder des Verwaltungsrats der SES halten diese fest, dass sie die Gutheissung des Ausnahmegesuchs der UBS unterstützen. Es wird in der Stellungnahme im Wesentlichen die Bedeutung der SES für die regionale, im öffentlichen Interesse liegende Stromversorgung betont und die Auffassung vertreten, die Interessen der Aktionäre der SES seien bei Gewährung einer Ausnahme weiterhin gewahrt. Im Übrigen wird im Hinblick auf allfällige Interessenkonflikte darauf hingewiesen, dass nach Kenntnis des Verwaltungsrates keine wichtigen vertraglichen oder anderswie gearteten Beziehungen zwischen einem der 13 Verwaltungsräte der SES einerseits und der UBS bzw. einer der bedeutenden Gesellschaften der UBS-Gruppe andererseits bestehen. Eine allfällige Verbindung zwischen einzelnen Verwaltungsräten der SES und der Atel sei für eine objektive Entscheidung im vorliegenden Fall irrelevant und demzufolge sei keiner der Verwaltungsräte anlässlich der Stellungnahme zum Gesuch der UBS in Ausstand getreten.

Die Überlegungen und die Argumentation des Verwaltungsrats der SES bei der Gutheissung des Gesuchs der UBS sind aus seiner Stellungnahme ersichtlich. Nachdem das Zustandekommen des Entscheids anlässlich der Abgabe dieser Stellungnahme und die Frage allfälliger Interessenkonflikte vom Verwaltungsrat der SES in seiner Stellungnahme ebenfalls offengelegt worden sind, können die Minderheitsaktionäre in voller Kenntnis der Sachlage über die Ausübung ihres Einspracherechts nach Art. 34 Abs. 4 BEHV-EBK entscheiden.

5. Auflage für die Gesuchstellerin: Wahrung der operativen Selbständigkeit der SES

Gestützt auf Art. 34 Abs. 3 BEHV-EBK wird die Ausnahmegewährung im vorliegenden Fall mit der Auflage für die UBS verbunden, der SES im Sinne der in Ziff. 2.4 gemachten Erwägungen ihre operative Selbständigkeit zu belassen.

6. Auflage für die Zielgesellschaft: Veröffentlichung des Berichts des Verwaltungsrats

Gemäss Art. 34 Abs. 3 BEHV-EBK  wird die Ausnahmegewährung im vorliegenden Fall mit der Auflage für SES verbunden, die Stellungnahme ihres Verwaltungsrats, mit der dieser die Gutheissung des Gesuchs der UBS unterstützt, zu veröffentlichen. Diese Massnahme sollte den Inhabern von Beteiligungspapieren der SES ermöglichen, in Kenntnis der Sachlage über die Ausübung des Einspracherechts nach Art. 34 Abs. 4 BEHV-EBK zu entscheiden.

Auf die Veröffentlichung der Stellungnahme findet Art. 32 UEV-UEK sinngemäss Anwendung (siehe Empfehlung in Sachen SC Turnaround Invest AG, vom 29. Oktober 2003). Die Stellungnahme des Verwaltungsrates der SES muss demnach zumindest in einer deutsch- und einer italienischsprachigen Zeitung publiziert werden, und zwar in einer Art, die eine nationale Verbreitung sicherstellt. Weiter muss die Stellungnahme auch mindestens einem der bedeutenden elektronischen Medien, welche Börseninformationen verbreiten, zugestellt werden (Art. 32 Abs. 3 UEV-UEK). Die Publikation des Textes der Mitglieder des Verwaltungsrates hat am 19. Mai 2004, d.h. am selben Tag wie die Bekanntgabe der Ausnahmegewährung im Schweizerischen Handelsamtsblatt („SHAB“), zu erfolgen und den Wortlaut von Art. 34 Abs. 4 BEHV-EBK wiederzugeben.

7. Publikation

Die vorliegende Empfehlung wird in Anwendung von Art. 23 Abs. 3 BEHG nach Eröffnung an die Gesuchstellerin und die Zielgesellschaft am 19. Mai 2004 auf der Website der Übernahmekommission veröffentlicht. Die Befreiung von der Angebotspflicht wird im SHAB vom 18. Mai 2004, das am 19. Mai 2004 erscheint, publiziert.

8. Gebühr

In Anwendung von Art. 23 Abs. 5 BEHG und Art. 62 Abs. 6 UEV-UEK wird für die Gewährung der vorliegenden Ausnahme von der Pflicht zur Unterbreitung eines Angebotes eine Gebühr erhoben. Der Ausschuss setzt die Gebühr auf CHF 40'000 fest.


Die Übernahmekommission erlässt folgende Empfehlung:

  1. UBS AG, Zürich und Basel, wird eine Ausnahme von der Pflicht gewährt, den Aktionären von Società Elettrica Sopracenerina, Locarno, ein öffentliches Kaufangebot zu unterbreiten.

  2. Diese Ausnahmegewährung wird mit der Auflage für die UBS AG verbunden, der Società Elettrica Sopracenerina ihre operative Selbständigkeit im Sinne der Erwägungen in Ziff. 2.4 zu belassen

  3. Diese Ausnahmegewährung wird mit der Auflage für Società Elettrica Sopracenerina verbunden, die Stellungnahme ihres Verwaltungsrats, mit der sich dieser für die Erteilung dieser Ausnahme ausgesprochen hat, zu veröffentlichen. Die Publikation hat am 19. Mai 2004 zumindest in einer deutsch- und einer italienischsprachigen Zeitung in einer Art, die eine nationale Verbreitung gewährleistet, zu erfolgen und den Wortlaut von Art. 34 Abs. 4 BEHV-EBK wiederzugeben. Die Stellungnahme der Mitglieder des Verwaltungsrats muss auch mindestens einem der bedeutenden elektronischen Medien, welche Börseninformationen verbreiten, zugestellt werden.

  4. Die vorliegende Empfehlung wird am 19. Mai 2004 auf der Website der Übernahmekommission veröffentlicht.

  5. Die Gebühr für diese Empfehlung zu Lasten von UBS beträgt CHF 40'000.

     

Der Präsident:

Hans Caspar von der Crone

 

Die Parteien können diese Empfehlung ablehnen, indem sie dies der Übernahmekommission spätestens fünf Börsentage nach Empfang der Empfehlung schriftlich melden. Die Übernahmekommission kann diese Frist verlängern. Sie beginnt bei Benachrichtigung per Telefax zu laufen. Eine Empfehlung, die nicht in der Frist von fünf Börsentagen abgelehnt wird, gilt als von den Parteien genehmigt. Wenn eine Empfehlung abgelehnt, nicht fristgerecht erfüllt oder wenn eine genehmigte Empfehlung missachtet wird, überweist die Übernahmekommission die Sache an die Bankenkommission zur Eröffnung eines Verwaltungsverfahrens.


Mitteilung an:

  • die UBS AG, durch ihren Vertreter;
  • die Società Elettrica Sopracenerina;
  • die EBK.