SWISS TAKEOVER BOARD

Transaktionen

0088 - Sulzer AG

Empfehlung II Sulzer AG vom 19. März 2001

Anspruch auf Akteneinsicht der Zielgesellschaft im Rahmen des öffentlichen Kauf- und Umtauschangebotes der InCentive Capital AG, Zug, für alle sich im Publikum befindenden Namenaktien der Sulzer AG, Winterthur

A.
Die Sulzer AG (Sulzer) ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Winterthur. Ihr Aktienkapital beträgt CHF 218‘281‘800.-- und ist eingeteilt in 3‘638‘030 Namenaktien von je CHF 60.-- Nennwert. Die Namenaktien sind an der Schweizer Börse kotiert.

B.
Die InCentive Capital AG (InCentive) ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Zug. Das Aktienkapital beträgt CHF 42‘944‘040.-- und ist eingeteilt in 2‘147‘202 Inhaberaktien von je CHF 20.-- Nennwert. Die Inhaberaktien sind an der Schweizer Börse kotiert.

C.
Am 19. Februar 2001 veröffentlichte InCentive die Voranmeldung eines öffentlichen Kauf- und Umtauschangebotes für alle sich im Publikum befindenden Aktien der Sulzer in den elektronischen Medien. Diese Voranmeldung enthielt diverse Bedingungen. Am 20. Februar 2001 erfolgte die Publikation der Voranmeldung landesweit in Tageszeitungen der deutsch- und französischsprachigen Schweiz.

D.
Mit Eingabe vom 8. März 2001 beantragte Sulzer, die Übernahmekommission habe ihr sämtliche Informationen über Meldungen betreffend Transaktionen der InCentive in Sulzer-Titeln gemäss
Art. 37 ff. UEV-UEK während der Laufzeit der Voranmeldung und des anschliessenden Übernahmeangebotes zukommen zu lassen.

E.
Der Präsident der Übernahmekommission gewährte der InCentive mittels verfahrensleitender Anordnung vom 8. März 2001 Frist bis am 15. März 2001, um zum oben erwähnten Antrag von Sulzer Stellung zu nehmen. Die Stellungnahme der InCentive wurde der Kommission fristgerecht zugestellt. Sie beantragt die Abweisung des Gesuches und stellt den Eventualantrag - falls dem Gesuch der Zielgesellschaft stattgegeben werde –, die Zielgesellschaft sei im Sinne der Rechtsgleichheit und des rechtlichen Gehörs zu verpflichten, sämtliche Abwehrmassnahmen gemäss Art. 34 UEV-UEK der Übernahmekommission mitzuteilen, welche diese sodann an die Anbieterin weiterleite.

F.
Zur Prüfung dieser Angelegenheit wurde ein Ausschuss bestehend aus Herrn Hans Caspar von der Crone (Präsident), Herrn Ulrich Oppikofer und Herrn Alfred Spörri gebildet.


Die Übernahmekommission zieht in Erwägung:

1. Tranksaktionsmeldepflicht des Anbieters

Die Meldepflicht des Anbieters betreffend Transaktionen in Titeln der Zielgesellschaft während eines Übernahmeverfahrens ist in Art. 37 UEV-UEK wie folgt festgelegt:

Der Anbieter muss der Übernahmekommission und der Börse, an der die Beteiligungspapiere kotiert sind, ab der Veröffentlichung des Angebotes bis zum Ende der Nachfrist alle von ihm getätigten Transaktionen in Beteiligungspapieren der Zielgesellschaft melden.

Im Fall eines öffentlichen Tauschangebotes meldet der Anbieter zusätzlich alle Transaktionen in Titeln, welche zum Tausch angeboten werden.

Wer in gemeinsamer Absprache mit dem Anbieter handelt (Art. 11), unterliegt derselben Meldepflicht.

Der Wortlaut der Verordnung bezeichnet einzig die Übernahmekommission und die Börse, an der die Beteiligungspapiere gehandelt werden, als Adressaten der Meldung. Die Zielgesellschaft wie alle anderen interessierten Kreise sind darin nicht erwähnt.

2. Inhalt des Akteneinsichtsrechts im Allgemeinen

Sulzer macht mit ihrem Gesuch an die Übernahmekommission, die Meldungen des Anbieters betreffend Transaktionen in Titeln der Zielgesellschaft einzusehen, den Anspruch auf Akteneinsicht geltend. Dieser verfahrensrechtliche Anspruch ist Teil des rechtlichen Gehörs (BGE 122 I 158). Das Akteneinsichtsrecht soll den Verfahrensbeteiligten die Kenntnisnahme der Entscheidgrundlagen ermöglichen, eine wirksame und sachbezogene Stellungnahme erlauben und die Akzeptanz der Entscheidung fördern (Jörg Paul Müller, Grundrechte in der Schweiz, 3. Aufl., Bern 1999, S. 525). Die Akteneinsicht erstreckt sich dabei auf alle Akten, die geeignet sind, Grundlage für die spätere Entscheidung zu bilden, d.h. entscheidrelevant sind oder sein könnten (BGE 121 I 225 E. 2a).

3. Akteneinsichtsrecht im erstinstanzlichen Verwaltungsverfahren

InCentive macht geltend, die Weitergabe der Transaktionsmeldungen würde eine Verletzung des Bundesgesetzes über den Datenschutz darstellen. Das datenschutzrechtliche Auskunftsrecht und das verfahrensrechtliche Akteneinsichtsrecht sind selbständige Ansprüche, die hinsichtlich Umfang und Voraussetzungen nicht deckungsgleich sein müssen. Im erstinstanzlichen Verwaltungsverfahren des Bundes gelangt jedoch das Datenschutzgesetz zur Anwendung. Gemäss Art. 19 Abs. 1 i.V.m. Art. 17 DSG bedürfen demnach Bundesorgane zur Bekanntgabe von Personendaten im erstinstanzlichen Verwaltungsverfahren einer gesetzlichen Grundlage. Der Bundesgesetzgeber hat diese gesetzliche Grundlage für das Akteneinsichtsrecht in Art. 26 bis 28 VwVG geschaffen.

Art. 55 Abs. 5 UEV-UEK hält zwar fest, dass das Verwaltungsverfahrensgesetz im Rahmen des öffentlichen Kaufangebotes nicht zur Anwendung gelangt. Der verfassungsmässige Anspruch auf rechtliches Gehör bzw. Akteneinsicht ist hingegen in Art. 55 Abs. 1 UEV-UEK ausdrücklich statuiert. Eine materielle Rechtsgrundlage wie die UEV-UEK genügt nach Datenschutzgesetz, sofern die Bearbeitung bzw. Veröffentlichung keinen schwerwiegenden Eingriff in die Freiheiten und Grundrechte von Personen darstellt (Art. 17 Abs. 2 DSG). Letzteres ist im Verfahren eines öffentlichen Kaufangebotes sicherlich zu verneinen, womit Art. 55 Abs. 1 UEV-UEK als eine genügende rechtliche Grundlage im obigen Sinne qualifiziert werden kann.

4. Akteneinsicht in Transaktionsmeldungen der InCentive

Die Transaktionsmeldungen stellen Dokumente eines laufenden Übernahmeverfahrens dar, im Rahmen dessen die Zielgesellschaft gemäss Art. 53 UEV-UEK Parteistellung besitzt. Die Meldungen der Anbieterin können je nach Inhalt die Entscheidfindung der Übernahmekommission beeinflussen. Sie unterliegen somit der Akteneinsicht, sofern ihr keine überwiegenden Interessen entgegenstehen. Die Übernahmekommission hat daher gemäss Art. 55 Abs. 1 UEV-UEK mittels einer Abwägung der Interessen der Anbieterin und derjenigen der Zielgesellschaft über den Anspruch auf Akteneinsicht zu entscheiden.

Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist in hängigen Verwaltungsverfahren den Parteien Einblick in die Verfahrensakten zu gewähren (BGE 115 V 302). Sie brauchen kein Interesse an der Akteneinsicht nachzuweisen, dieses wird – kraft Verfahrensbeteiligung – vorausgesetzt (113 Ia 4). Währenddem sich damit das Interesse von Sulzer bereits aus ihrer Parteistellung ergibt, konnte InCentive in ihrer Eingabe nicht substanzieren, inwieweit Geheimhaltungsinteressen diesem Anspruch entgegenstehen sollten. „Greifbare wesentliche Anhaltspunkte", die das Bundesgericht in seiner Rechtsprechung für den Ausschluss des Akteneinsichtsrecht verlangt, sind demnach nicht feststellbar (BGE 115 V 302). Die Meldungen über getätigte Transaktionen in Beteiligungspapieren der Zielgesellschaft bilden zudem Informationen, die in zusammengefasster Form mit dem Schlussergebnis öffentlich publiziert werden. Für interessierte Kreise wäre es dabei ohne weiteres möglich nachzurechnen, in welchem Umfang Transaktionen ausserhalb des Übernahmeangebotes, d.h. über direkte und/oder die Börse abgewickelte Zu- und Verkäufe, getätigt wurden. Die Übernahmekommission kann darüber hinaus gemäss Art. 42 UEV-UEK die Veröffentlichung von gemeldeten Transaktionen in den Medien empfehlen bzw. gegebenenfalls selbst vornehmen, wenn die Transaktionen einen nennenswerten Einfluss auf die Kurse der Beteiligungspapiere haben und die Veröffentlichung für die Lauterkeit des Handels notwendig ist. Schliesslich wird auch das Interesse des Anbieters an einem einfachen und kurzen Verfahren durch das Akteneinsichtsrecht in keiner Weise tangiert.

Auf der Grundlage dieser Interessenabwägung wird das vorliegende Gesuch der Zielgesellschaft gutgeheissen. Die Übernahmekommission wird Sulzer jeweils die ihr von der Anbieterin zugestellten Meldungen über getätigte Transaktionen in Sulzer-Titeln bis zum Ende der Nachfrist des Übernahmeangebotes zustellen. Da der Entscheid der Veröffentlichung gemäss Art. 42 UEV-UEK alleine der Übernahmekommission zusteht, erfolgt die Weiterleitung an Sulzer unter der Auflage, diese Informationen weder zu veröffentlichen noch auf eine andere Weise an Dritte weiterzugeben. Die bisher bei der Übernahmekommission eingegangenen Transaktionsmeldungen sowie alle neu eintreffenden Meldungen werden der Zielgesellschaft nach Ablauf der fünftägigen Einsprachefrist zugestellt.

5. Eventualantrag und Zusatzantrag der Anbieterin in ihrer Stellungnahme zum Gesuch der Zielgesellschaft vom 8. März 2001

Die Gutheissung des Gesuchs der Zielgesellschaft hat zur Folge, dass in einem zweiten Schritt über den weiterführenden Eventualantrag der Anbieterin zu entscheiden ist, wonach ihr alle Mitteilungen betreffend Abwehrmassnahmen der Zielgesellschaft gemäss Art. 34 UEV-UEK zuzustellen seien.
Nach Ablauf der Einsprachefrist oder nach Eingang einer Bestätigung der Nichtanfechtung vorliegender Empfehlung durch die Anbieterin wird der Zielgesellschaft Gelegenheit zur Stellungnahme zum Eventualantrag eingeräumt. Hinsichtlich des Zusatzantrages auf Qualifizierung der Stimmbarmachung eigener Aktien als Abwehrmassnahme gemäss Art. 34 UEV-UEK wurde der Zielgesellschaft bereits mittels verfahrensleitender Anordnung von heutigem Datum Frist zur Stellungnahme bis zum 26. März 2001 gewährt.

6. Publikation

Die vorliegende Empfehlung wird am ersten Börsentag nach der Eröffnung an die Parteien auf der Website der Übernahmekommission publiziert.

7. Gebühr

Gemäss Art. 62 Abs. 5 UEV-UEK kann die Übernahmekommission in besonderen Fällen, namentlich wenn die Zielgesellschaft einem Ausschuss besondere Arbeit verursacht hat, Letzterer eine Gebühr auferlegen. Verfahrensanträge bilden jedoch im normalen Umfange keinen ausserordentlichen Aufwand im Sinne der Verordnung. Folglich wird an dieser Stelle keine separate Gebühr erhoben.


Die Übernahmekommission erlässt folgende Empfehlung:

  1. Die Übernahmekommission wird der Sulzer AG nach Ablauf der fünftägigen Einsprachfrist sämtliche ihr von InCentive Capital AG zugestellten Meldungen betreffend Transaktionen in Titeln der Sulzer AG gemäss Art. 37 ff. UEV-UEK bis zum Ende der Nachfrist des öffentlichen Kaufangebotes unter der Auflage zukommen lassen, dass diese Informationen weder veröffentlicht noch auf eine andere Weise an Dritte weitergegeben werden dürfen.

  2. Diese Empfehlung wird am ersten Börsentag nach Eröffnung an die Parteien auf der Website der Übernahmekommission publiziert.

 

Der Präsident:


Hans Caspar von der Crone

 

Die Parteien können diese Empfehlung ablehnen, indem sie dies der Übernahmekommission spätestens fünf Börsentage nach Empfang der Empfehlung schriftlich melden. Die Übernahmekommission kann diese Frist verlängern. Sie beginnt bei Benachrichtigung per Telefax zu laufen. Eine Empfehlung, die nicht in der Frist von fünf Börsentagen abgelehnt wird, gilt als von den Parteien genehmigt. Wenn eine Empfehlung abgelehnt, nicht fristgerecht erfüllt oder wenn eine genehmigte Empfehlung missachtet wird, überweist die Übernahmekommission die Sache an die Bankenkommission zur Eröffnung eines Verwaltungsverfahrens.


Mitteilung an:

  • Sulzer AG, durch ihren Vertreter,
  • InCentive Capital AG, durch ihren Vertreter,
  • EBK.