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0846 - Von Roll Holding AG
Verfügung 846/01 vom 23. Juni 2023
Gesuch von Clair AG, Francine von Finck, August François von Finck und Maximilian von Finck mit Blick auf ein Handeln in gemeinsamer Absprache i.S.v. Art. 11 Abs. 1 UEV und eventualiter auf die Anwendbarkeit und Verletzung der Best Price Rule betreffend Von Roll Holding AG
A.
Von Roll Holding AG (die Gesellschaft oder Von Roll) ist eine Aktiengesellschaft schweizerischen Rechts mit Sitz in Breitenbach im Kanton Solothurn (HR-Firmennummer CHE-102.662.046). Zweck der Gesellschaft sind Erwerb, Veräusserung und Verwaltung von Beteiligungen an bestehenden oder zu gründenden Industrie-, Handels- und Finanz-Unternehmen aller Art im In- und Ausland. Das Aktienkapital der Gesellschaft beträgt insgesamt CHF 35'743'380.40 und ist in 357'433'804 voll liberierte Inhaberaktien mit einem Nennwert von je CHF 0.10 eingeteilt (die Von Roll-Aktien).
Die aktuellen Statuten der Gesellschaft enthalten in Art. 4a die folgende Opting out-Klausel:
«Erwerber von Aktien der Gesellschaft sind von der Pflicht zur Unterbreitung eines öffentlichen Übernahmeangebots gemäss Artikel 135 des Bundesgesetzes über die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivathandel vom 19. Juni 2015 befreit.»
Die Von Roll-Aktien sind an der SIX Swiss Exchange (SIX) kotiert (Valorensymbol: ROL; ISIN: CH0003245351; Valorennummer: 324535).
B.
Gemäss der Datenbank der SIX Exchange Regulation betreffend bedeutende Aktionäre halten per 23. Juni 2023 folgende Aktionäre bedeutende Beteiligungen an Von Roll:
|
Seit dem 29. Juli 2022 halten Francine von Finck, August François von Finck und Maximilian von Finck als wirtschaftlich berechtigte Personen i.S.v. Art. 10 Abs. 1 FinfraV-FINMA indirekt über die Clair AG, Baar, Schweiz, 261'650'595 Von Roll-Aktien, was 73.2% der Stimmrechte der Von Roll entspricht. |
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Seit dem 29. Juli 2022 hält Maria-Theresia von Finck als wirtschaftlich berechtigte Person i.S.v. Art. 10 Abs. 1 FinfraV-FINMA 14'618'523 Von Roll-Aktien, was 4.09% der Stimmrechte der Von Roll entspricht. |
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Seit dem 29. Juli 2022 hält Luitpold von Finck als wirtschaftlich berechtigte Person i.S.v. Art. 10 Abs. 1 FinfraV-FINMA 12'868'523 Von Roll-Aktien, was 3.6% der Stimmrechte der Von Roll entspricht. |
C.
Mit Eingabe vom 5. Juni 2023 (das Gesuch; act. 1/1) gelangten Clair AG, Francine von Finck, August François von Finck und Maximilian von Finck (nachfolgend alle gemeinsam die Aktionärsgruppe) an die Übernahmekommission (UEK) und stellten folgende Anträge:
«1. Es sei festzustellen, dass die Personen, die zur Aktionärsgruppe gehören, durch den Abschluss des beiliegenden Aktienkaufvertrags nicht zu Personen werden, die mit der Altana AG bzw. einer von dieser eingesetzten Anbieterin mit Bezug auf ein etwaiges öffentliches Angebot für sämtliche im Publikum gehaltenen Aktien der Von Roll Holding AG in gemeinsamer Absprache handeln;
2. Eventualiter, d.h. für den Fall, dass der Antrag 1 nicht gutgeheissen wird, sei festzustellen, dass durch den Vollzug des beiliegenden Aktienkaufvertrags und der beiliegenden Vereinbarung betreffend Verteilung des Verkaufserlöses die Best Price Regel nicht verletzt wird, selbst wenn dies während der Dauer der Geltung der Best Price Regel geschieht.
3. Formell ersuchen wir Sie, die Verfügung, die aufgrund dieses Gesuchs ergeht, erst im Zusammenhang mit einer Verfügung betreffend ein etwaiges Übernahmeangebot zu veröffentlichen.»
(nachfolgend je einzeln der Hauptantrag Ziff. 1, der Eventualantrag Ziff. 2 und der Antrag Ziff. 3)
Auf die Begründung dieser Anträge wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen eingegangen.
D.
Gemäss Gesuch hält Christian Hennerkes, der CEO der Von Roll (nachfolgend CEO), 3'600'000 Von Roll-Aktien bzw. hält Artur List, der CFO der Von Roll (nachfolgend CFO), 2'400'000 Von Roll-Aktien (act. 1/1, Rn 6).
E.
Zurzeit verhandelt die Aktionärsgruppe über den Verkauf ihrer Von Roll-Aktien an die Altana AG, eine privat gehaltene Aktiengesellschaft nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland mit Sitz in Wesel, Deutschland (Altana), bzw. an eine von letzterer eingesetzte (Tochter-)Gesellschaft (act. 1/1, Rn 7).
Altana beabsichtigt, nach Abschluss eines entsprechenden Aktienkaufvertrages mit der Aktionärsgruppe unter bestimmten Voraussetzungen und Bedingungen mittels Lancierung eines öffentlichen Übernahmeangebots an die Publikumsaktionäre der Von Roll grundsätzlich 100% der ausstehenden Von Roll-Aktien zu erwerben.
Gemäss Angaben von Altana (act. 5/1) soll für alle unter dem Aktienkaufvertrag erworbenen Von Roll-Aktien der gleiche Preis bezahlt werden, den die Angebotsempfänger erhalten, falls das Angebot vollzogen wird.
F.
Gemäss den Angaben im Gesuch habe die Aktionärsgruppe «dem CEO und dem CFO finanzielle Vorteile infolge des Verkaufs der Beteiligung der Aktionärsgruppe, für die Begleitung der Aktionärsgruppe und den erreichten Turnaround versprochen gehabt» (act. 1/1, Rn 8). Die Aktionärsgruppe ziehe jetzt in Betracht, «den CEO und den CFO zusammen mit der Aktionärsgruppe ihre Aktien an Altana AG verkaufen zu lassen und gleichzeitig den erhaltenen Kaufpreis nicht pro Aktie zu verteilen, sondern entsprechend der folgenden Verteilung» (act. 1/1, Rn 8):
Verkäufer |
Anzahl Von Roll-Aktien |
Kaufpreis- |
Verteilung pro Von Roll-Aktie |
Clair AG |
72'475'908 |
CHF 59'088'223 |
CHF 0.8153 |
Francine von Finck |
66'650'000 |
CHF 54'338'472 |
CHF 0.8153 |
Maximilian von Finck |
63'257'998 |
CHF 51'573'037 |
CHF 0.8153 |
August François von Finck |
59'266'689 |
CHF 48'318'999 |
CHF 0.8153 |
Christian Hennerkes |
3'600'000 |
CHF 9'246'390 |
CHF 2.5684 |
Artur Lust |
2'400'000 |
CHF 7'614'390 |
CHF 2.1727 |
Sozialversicherungsabgaben, die von Von Roll für den CEO und den CFO zu leisten sind, sollen dabei «der Arbeitgeberin zufliessen und von der Aktionärsgruppe die Arbeitgeberbeiträge und vom CEO bzw. CFO die restlichen Sozialversicherungsabgaben und Quellensteuern getragen, d.h. von ihren (untenstehenden) Anteilen bei der Verteilung abgezogen werden» (act. 1/1, Rn 8).
Zwecks Regelung dieser Vorgänge bzw. zur Festlegung der dem CEO und CFO über die Aktionärsgruppe zu gewährenden sog. Wertzuwachsboni und Managementerfolgsbeteiligungen soll zwischen den genannten Verkäufern eine auf den Aktienkaufvertrag abstellende sog. Vereinbarung betreffend Verteilung des Verkaufserlöses abgeschlossen werden, welche der UEK im Entwurf zugestellt wurde (act. 1/4).
G.
Im Entwurf des zwischen der Aktionärsgruppe und Altana (bzw. einer von dieser eingesetzten [Tochter-]Gesellschaft) abzuschliessenden Aktienkaufvertrages seien «Pflichten der Verkäufer mit Bezug auf ein Übernahmeangebot nur für den Fall vor[gesehen], dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Verkäufer Personen sind, die mit der Altana AG in gemeinsamer Absprache handeln.» Altana habe «keinen Einfluss auf die Verteilung des Kaufpreises und [habe] keinen Einblick darin erhalten.» Für Altana sei lediglich «wichtig, dass die Gesellschaft keine Nachteile daraus hat bzw. solche von den Verkäufern getragen werden» (act. 1/1, Rn 9).
H.
Am 5. Juni 2023 stellte die UEK das Gesuch Altana und Von Roll zu und setzte diesen eine Frist bis am 9. Juni 2023, 08:00 Uhr, um zum Gesuch Stellung zu nehmen (act. 2).
I.
Am 7. Juni 2023 gelangte die UEK an Altana und an Von Roll und bat diese, den Entwurf einer Transaktionsvereinbarung mit Blick auf ein allfälliges öffentliches Übernahmeangebot an die Publikumsaktionäre der Von Roll bis am 9. Juni 2023, 08:00 Uhr, einzureichen (act. 3).
J.
Am 8. Juni 2023 gingen die Stellungnahmen von Altana (Stellungnahme 1; act. 5/1) und von der Von Roll (Stellungnahme 2; act. 6/1) bei der UEK ein. Auf die Stellungnahme 1 und 2 wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen eingegangen.
K.
Am 9. Juni 2023 stellte die UEK der Aktionärsgruppe, Altana und Von Roll die Stellungnahme 1, die Stellungnahme 2 sowie den Entwurf einer Voranmeldung (act. 7) zu (act. 8).
L.
Zur Prüfung dieser Angelegenheit wurde ein Ausschuss bestehend aus der Präsidentin Mirjam Eggen, Franca Contratto und Isabelle Chabloz gebildet.
Die Übernahmekommission zieht in Erwägung:
1. Feststellungsinteresse
[1] Für Verfahren vor der UEK gelten unter Vorbehalt der Bestimmungen gemäss Art. 139 Abs. 2 – 5 FinfraG die Normen des VwVG (Art. 139 Abs. 1 FinfraG). Nach Art. 25 Abs. 1 VwVG kann über den Bestand, den Nichtbestand oder den Umfang öffentlich-rechtlicher Rechte oder Pflichten auf Begehren eine Feststellungsverfügung erlassen werden. Einem Begehren um Erlass einer solchen Verfügung ist gemäss Art. 25 Abs. 2 VwVG zu entsprechen, wenn der Gesuchsteller ein schutzwürdiges Interesse daran nachweist. Gemäss Praxis ist ein übernahmerechtliches Feststellungsinteresse gegeben, wenn für den Gesuchsteller eine direkte und aktuelle Unklarheit über die Rechtslage besteht, die mittels einer Feststellungsverfügung geklärt werden kann (Verfügung 825/01 vom 27. Juli 2022 in Sachen MCH Group SA, Rn 1; Verfügung 822/01 vom 14. Juli 2022 in Sachen Bobst Group SA, Rn 1).
[2] Die Aktionärsgruppe legt ihrem Gesuch den Entwurf eines Aktienkaufvertrages bei und führt aus, dass sie «verschiedene Pflichten übernehmen müsste», wenn namentlich ihre Mitglieder als «mit einer Anbieterin für die Aktien der Von Roll Holding AG in gemeinsamer Absprache» handelnde Personen gelten würden (act. 1/1, Rn 2). Ferner müsste die Aktionärsgruppe «dem CEO und dem CFO [der Von Roll] eine Erfolgsbeteiligung infolge des Verkaufs der Beteiligung der Aktionärsgruppe zukommen lassen». Die Aktionärsgruppe hat vor, diese Zahlung dadurch zu leisten, «dass der CEO und der CFO [der Von Roll] ebenfalls Partei des [Aktien-]Kaufvertrages werden und der Kaufpreis aber ungleichmässig verteilt wird» (act. 1/1, Rn 3).
[3] Vorliegend hat die Aktionärsgruppe ein schutzwürdiges, direktes und aktuelles Interesse an der Klärung der Frage, ob sie infolge des Abschlusses des Aktienkaufvertrags zu Personen werden, die in gemeinsamer Absprache mit Altana (bzw. einer von dieser eingesetzten Anbieterin) i.S.v. Art. 11 Abs. 1 UEV im Hinblick auf ein öffentliches Übernahmeangebot an die Aktionäre der Von Roll handeln und ob die geplante Kaufpreisverteilung die Best Price Rule verletzt. Auf das Gesuch wird somit eingetreten.
2. Handeln in gemeinsamer Absprache i.S.v. Art. 11 Abs. 1 UEV (Hauptantrag Ziff. 1)
2.1 Gesetzliche Grundlagen und relevante Praxis
[4] Für Personen, die im Hinblick auf ein Angebot in gemeinsamer Absprache oder als organisierte Gruppe mit der Anbieterin handeln, gilt Art. 12 Abs. 1 FinfraV-FINMA sinngemäss (Art. 11 Abs. 1 UEV). Nach Art. 12 Abs. 1 FinfraV-FINMA handelt in gemeinsamer Absprache oder als organisierte Gruppe, wer seine Verhaltensweise im Hinblick auf den Erwerb oder die Veräusserung von Beteiligungspapieren oder die Ausübung von Stimmrechten mit Dritten durch Vertrag oder andere organisierte Vorkehren abstimmt. In gemeinsamer Absprache mit der Anbieterin i.S.v. Art. 11 Abs. 1 UEV handelnde Personen haben zudem die Pflichten nach Art. 12 UEV einzuhalten, was von der Prüfstelle zu überprüfen ist.
[5] Gemäss Praxis der UEK handeln Personen im Hinblick auf ein Angebot in gemeinsamer Absprache mit dem Anbieter i.S.v. Art. 11 UEV, die ihr Verhalten hinsichtlich des Unterbreitens eines öffentlichen Kaufangebots und dessen Bedingungen koordiniert und sich über das Angebot und dessen Bedingungen geeinigt haben (Verfügung 822/01 vom 14. Juli 2022 in Sachen Bobst Group SA, Rn 13; Verfügung 726/01 vom 29. April 2019 in Sachen Panalpina Welttransport (Holding) AG, Erw. 1.1, Rn 1; Verfügung 670/01 vom 28. August 2017 in Sachen ImmoMentum AG, Erw. 2.1 mit Nachweisen). Mit dem Anbieter in gemeinsamer Absprache i.S.v. Art. 11 Abs. 1 UEV handeln vor diesem Hintergrund alle vom Anbieter direkt oder indirekt beherrschten Gesellschaften und Personen sowie, spätestens ab dem Datum einer zwischen dem Anbieter und der Zielgesellschaft abgeschlossenen Transaktionsvereinbarung, die Zielgesellschaft und alle Personen und Gesellschaften, die direkt oder indirekt von der Zielgesellschaft beherrscht werden (Verfügung 823/01 vom 25. Juli 2022 in Sachen Valora Holding AG, Rn 8; Verfügung 822/01 vom 14. Juli 2022 in Sachen Bobst Group AG, Rn 11; Verfügung 805/02 vom 24. Februar 2022 in Sachen Bank Linth LLB AG, Rn 19; Verfügung 802/02 vom 14. Januar 2022 in Sachen Vifor Pharma AG, Rn 10).
[6] In gemeinsamer Absprache mit dem Anbieter handeln des Weiteren auch die den Anbieter direkt oder indirekt beherrschenden Personen sowie alle von diesen direkt und indirekt beherrschten Gesellschaften (Verfügung 816/02 vom 13. Juli 2022 in Sachen Spice Private Equity AG, Erw. 3.2.2). Bei einer Beteiligung von mehr als 50% der Stimmrechte ist dabei stets von einer Beherrschung des Anbieters auszugehen, die es dem entsprechenden Anteilseigner bzw. Inhaber dieser Stimmrechte oder einer (stimmrechts-)verbundenen Gruppe von Anteilseignern bzw. Inhabern dieser Stimmrechte ermöglicht, direkt oder indirekt auf die Organe des Anbieters einen bestimmenden Einfluss auszuüben. Bei einer geringeren Beteiligung ist auf die Umstände des Einzelfalls wie bspw. auf die Höhe der prozentualen Stimmrechts- oder Kapitalbeteiligung oder auf den Einfluss im Verwaltungsrat abzustellen (Verfügung 823/01 vom 25. Juli 2022 in Sachen Valora Holding AG, Rn 9; Verfügung 822/01 vom 14. Juli 2022 in Sachen Bobst Group AG, Rn 14; Verfügung 816/02 vom 13. Juli 2022 in Sachen Spice Private Equity AG, Rn 11).
[7] Ausserdem handeln grundsätzlich auch die kontrollierenden Mehrheitsaktionäre der Zielgesellschaft, «welche ihre Beteiligung im Rahmen des SPA [i.e. Share Purchase Agreements] an die Anbieterin veräussert haben, (…) vom Abschluss des SPA (…) bis zum Vollzug des SPA (…) in gemeinsamer Absprache mit der Anbieterin» (Empfehlung 329/03 in Sachen Unilabs S.A. vom 6. Oktober 2007 [Empfehlung 329/03], Erw. 6.3; vgl. Marie Jenny, La protection de l’offrant dans les offres publiques d’acquisition – La sécurité juridique à l’épreuve de la pratique, Genf/Zürich 2018, S. 381), sofern diese Mehrheitsaktionäre ihr Aktienpaket vor der Veröffentlichung des Angebotsprospekts an die Anbieterin verkauft und sich zusätzlich verpflichtet haben, das Angebot öffentlich zu unterstützen (vgl. dazu die in der Verfügung 726/01 vom 29. April 2019 in Sachen Panalpina Welttransport (Holding) AG, Erw. 1.1, Rn 3 vorgenommene Präzisierung der im Rahmen der Empfehlung 329/03 etablierten Praxis).
[8] Im Rahmen der Verfügung 652/01 vom 14. Februar 2017 in Sachen Actelion Ltd, Erw. 3.1, Rn 7 wurde sodann entschieden, dass der Gründer, CEO und Mitglied des zehnköpfigen Verwaltungsrats der Zielgesellschaft, der zu Gunsten der Anbieterin eine Andienungsverpflichtung über seine 3.59%-Beteiligung an der Zielgesellschaft abgeschlossen hatte, in gemeinsamer Absprache mit der Anbieterin handelte. Das Handeln in gemeinsamer Absprache wurde damit begründet, dass es dieser Person aufgrund ihrer Position innerhalb und aufgrund ihrer Aktienbeteiligung an der Zielgesellschaft zumindest möglich war, die Modalitäten und Bedingungen des Angebotes zu beeinflussen.
[9] Gemäss der Verfügung 476/01 vom 19. April 2011 in Sachen Schulthess Group AG (Verfügung 476/01), Erw. 5.1 handelt ein Aktionär, welcher der Anbieterin vor dem Angebot eine bedeutende Beteiligung an der Zielgesellschaft verkauft, dann in gemeinsamer Absprache mit der Anbieterin, wenn er sich mit ihr im Hinblick auf ein öffentliches Kaufangebot durch Vertrag oder andere organisierte Vorkehren abstimmt. Im genannten Fall hatten fünf Aktionäre der Zielgesellschaft mit der Anbieterin bedingte Aktienkaufverträge über insgesamt 31.13% der Stimmrechte an der Zielgesellschaft abgeschlossen (Verfügung 476/01, Sachverhalt lit. C) und sich insofern mit der Anbieterin abgestimmt, als dass sich die Aktionäre in diesen Aktienkaufverträgen verpflichtet hatten, anlässlich der Generalversammlung für eine Statutenänderung (d.h. Streichung der Eintragungs- und Stimmrechtsbeschränkungen) zu stimmen und die Best Price Rule nicht zu verletzen.
2.2 Ausführungen der Parteien
[10] Die Aktionärsgruppe verweist im Gesuch auf die Empfehlung 329/03 und zwei Verfügungen der UEK und führt aus, dass sich aus diesen «Entscheiden» ergäbe, «dass die blosse Veräusserung von Aktien an die Anbieterin oder die Zusage dies zu tun, keinerlei Handeln in gemeinsamer Absprache bedeuten kann» (act. 1/1, Rn 10 – 13). Mit Blick auf die Empfehlung 329/03 führt sie unter Bezugnahme auf den damaligen Angebotsprospekt der Capio Laboratories AB, lit. A, aus, dass sich der mit 50.08% der Stimmrechte die Zielgesellschaft kontrollierende «Mehrheitsaktionär» zusätzlich verpflichtet hatte, «das Angebot öffentlich zu unterstützen» ( 1/1, Rn 10).
[11] Altana führt in der Stellungnahme 1 diesbezüglich aus, dass sie «mit der beabsichtigen Verteilung des Gesamterlöses unter den einzelnen Mitgliedern der Aktionärsgruppe nichts zu tun» habe und «die Grundlagen dafür nicht kenne» (act. 5/1, Rn 2). Nach ihrem Verständnis «führen diese Absprachen aber — und nur dies ist für Altana wesentlich — zu keinen [recte: keinem] Geldabfluss aus der Von Roll» (act. 5/1, Rn 3). Altana ist — ebenso wie die Aktionärsgruppe — der Ansicht, dass der «Abschluss des Aktienkaufvertrags mit der Aktionärsgruppe (…) kein koordiniertes Verhalten von Altana und der Aktionärsgruppe im Hinblick auf das beabsichtigte Kaufangebot der Altana» bewirkt (act. 5/1, Rn 4). Ein Handeln in gemeinsamer Absprache i.S.v. Art. 11 UEV setzt ihrer Ansicht nach voraus, «dass das koordinierte Verhalten einen konkreten Bezug (i) in sachlicher sowie (ii) zeitlicher Hinsicht zu dem fraglichen Kaufangebot hat.» Das Kaufangebot muss demgemäss «ursächlich resp. Grundlage für die Verhaltensabstimmung sein» (act. 5/1, Rn 9).
[12] Von Roll ist im Rahmen ihrer Stellungnahme 2 ebenfalls der Ansicht, dass die Aktionärsgruppe und Altana nicht in gemeinsamer Absprache handeln. Aus dem Aktienkaufvertrag ergebe sich gemäss Von Roll «keine Koordination zwischen der Aktionärsgruppe und der Anbieterin hinsichtlich des Unterbreitens eines öffentlichen Kaufangebots, die hierfür erforderlich wäre» (act. 6/1, S. 1).
2.3 Handeln in gemeinsamer Absprache i.S.v. Art. 11 Abs. 1 UEV im vorliegenden Fall
[13] Vorliegend handelt es sich bei der aus Clair AG, Francine von Finck, August François von Finck und Maximilian von Finck bestehenden Aktionärsgruppe um die kontrollierende Mehrheitsaktionärin der Zielgesellschaft. Die Aktionärsgruppe beherrscht Von Roll mit einer Stimmrechtsbeteiligung von 2%. Die Aktionärsgruppe dominiert des Weiteren auch den Verwaltungsrat der Zielgesellschaft, der sich gemäss den über den zentralen Firmenindex (www.zefix.ch) abrufbaren Angaben (Stand: 23. Juni 2023) wie folgt zusammensetzt:
Name |
Funktion |
Tätigkeit |
Varia |
Peter Kalantzis |
VR-Präsident |
nicht exekutiv |
VR-Präsident der Clair AG |
Gerhard Bruckmeier |
VR-Vizepräsident |
nicht exekutiv |
|
August François von Finck |
VR-Mitglied |
nicht exekutiv |
VR-Mitglied der Clair AG |
Christian Hennerkes |
Delegierter des VR / CEO |
exekutiv |
|
[14] Die Aktionärsgruppe erwägt, ihre Mehrheitsbeteiligung im Vorfeld eines allfälligen öffentlichen Übernahmeangebots auf Basis eines Aktienkaufvertrages an Altana (bzw. an eine von letzterer eingesetzte [Tochter-]Gesellschaft) zu verkaufen und das erwähnte Übernahmeangebot im Rahmen bestimmter Bedingungen und Verpflichtungen zu unterstützen (vgl. Sachverhalt lit. E). Im Entwurf des zwischen der Aktionärsgruppe und Altana abzuschliessenden Aktienkaufvertrages wird in dieser Hinsicht u.a. wie folgt direkt oder indirekt auf das öffentliche Übernahmeangebot Bezug genommen:
i. | «Die Generalversammlung oder der Verwaltungsrat der Gesellschaft haben (…): |
|
|
ii. | «Erfüllung der Vollzugsbedingungen |
|
|
|
|
iii: |
«Verhalten im Falle eines öffentlichen Übernahmeangebots |
|
[15] Die obigen Ausführungen zeigen, dass es der Aktionärsgruppe aufgrund ihrer dominierenden Stellung betreffend die Zielgesellschaft möglich ist, die Modalitäten und Bedingungen hinsichtlich des öffentlichen Angebotes von Altana zu beeinflussen und dass sie ihr Verhalten via die im Entwurf des Aktienkaufvertrags in dieser Hinsicht angelegten Unterstützungspflichten (vgl. Rn [14], i. bis iii.: kein Beschluss unzulässiger Abwehrmassnahmen, eine mit Blick auf die Vollzugsbedingungen koordinierte Stimmrechtsausübung, keine Verletzung der Best Price Rule) auch tatsächlich mit der Anbieterin abzustimmen beabsichtigt.
2.4 Fazit
[16] Vor diesem Hintergrund wird somit in Abweisung des Hauptantrags Ziff. 1 festgestellt, dass die Aktionärsgruppe und die zur Aktionärsgruppe gehörenden Personen durch den Abschluss des der UEK vorgelegten Entwurfs des Aktienkaufvertrages mit Altana (bzw. einer von dieser eingesetzten Anbieterin) im Hinblick auf ein allfälliges öffentliches Übernahmeangebot für alle sich im Publikum befindenden Von Roll-Aktien in gemeinsamer Absprache i.S.v. Art. 11 Abs. 1 UEV handeln würden.
3. Anwendbarkeit bzw. Verletzung der Best Price Rule (Eventualantrag Ziff. 2)
3.1 Rechtliche Grundlage
[17] Erwirbt der Anbieter von der Veröffentlichung des Angebotes bis sechs Monate nach Ablauf der Nachfrist Beteiligungspapiere der Zielgesellschaft zu einem über dem Angebotspreis liegenden Preis, so muss er diesen Preis nach Art. 10 Abs. 1 UEV allen Empfängerinnen und Empfängern des Angebotes anbieten (Best Price Rule).
3.2 Allgemeines
[18] Die Best Price Rule ist eine Konsequenz bzw. Konkretisierung des Gleichbehandlungsgrundsatzes, wonach Inhaber von Beteiligungspapieren derselben Art grundsätzlich gleich zu behandeln sind (Empfehlung 314/05 vom 28. September 2007 in Sachen GNI Global Net International AG, Erw. 1.1; Empfehlung 329/01 vom 22. August 2007 in Sachen Unilabs S.A., Erw. 2.1).
[19] Von der Best Price Rule abzugrenzen ist der Preis des vorausgegangenen Erwerbs von Beteiligungspapieren im Sinne von Art. 135 Abs. 2 FinfraG und Art. 43 FinfraV-FINMA. Während die Best Price Rule grundsätzlich für Transaktionen der Anbieterin (oder der mit ihr in gemeinsamer Absprache handelnden Personen) mit Beteiligungspapieren der Zielgesellschaft nach Veröffentlichung des Angebots bzw. der Voranmeldung relevant ist, befasst sich der sog. vorausgegangene Erwerb mit Transaktionen der Anbieterin (oder der mit ihr in gemeinsamer Absprache handelnden Personen) vor Veröffentlichung des Angebots bzw. der Voranmeldung.
[20] Die Best Price Rule gelangt im Unterschied zur Mindestpreisregel im Rahmen eines Angebots grundsätzlich immer zur Anwendung, sofern eine Transaktion den spezifischen Anwendungsbereich der Best Price Rule erfüllt (vgl. zum Anwendungsbereich der Best Price Rule die Ausführungen in untenstehender Erw. 3.3).
[21] Die Best Price Rule ist verletzt, wenn der Preis, den der Anbieter bzw. eine in gemeinsamer Absprache mit dem Anbieter handelnde Person für (in- oder ausserhalb der Abwicklung des Angebots) erworbene Beteiligungspapiere (bzw. Beteiligungsderivate) bezahlt, über dem massgeblichen Angebotspreis liegt. Sog. geldwerte Nebenleistungen, welche der Anbieter bzw. eine in gemeinsamer Absprache mit dem Anbieter handelnde Person einem andienenden oder auch nicht-andienenden Aktionär neben dem Angebotspreis für Beteiligungsrechte zusätzlich zukommen lässt, sind in die Kalkulation des für die Best Price Rule massgeblichen Erwerbspreises einzubeziehen, d.h. zum Erwerbspreis zu addieren. Dabei ist es im Anwendungsbereich der Best Price Rule primär Aufgabe der Anbieterin abzuklären, ob und welche zusätzlichen geldwerten Leistungen bestehen und diese nötigenfalls zu bewerten (Verfügung 730/01 vom 28. Mai 2019 in Sachen Alpiq Holding AG, Erw. 2.3, Rn 15 f.; Verfügung 623/01 vom 25. Februar 2016 in Sachen Kuoni Reisen Holding AG, Erw. 5.3).
3.3 Anwendungsbereich der Best Price Rule gemäss der relevanten Praxis
[22] Der Anwendungsbereich der Best Price Rule nach Art. 10 Abs. 1 UEV beinhaltet eine persönliche (wer?), sachliche (was?) und eine zeitliche (wann?) Komponente (vgl. Verfügung 730/01 vom 28. Mai 2019 in Sachen Alpiq Holding AG, Erw. 3.1, Rn 17).
3.3.1 Persönlicher Anwendungsbereich
[23] Die Best Price Rule erfasst sowohl die Erwerbsgeschäfte des Anbieters bzw. der Anbietergruppe als auch jene der mit dem Anbieter in gemeinsamer Absprache handelnden Personen (Art. 11 Abs. 1 UEV; Verfügung 730/01 vom 28. Mai 2019 in Sachen Alpiq Holding AG, Erw. 3.2, Rn 18; Verfügung 678/02 vom 28. Februar 2018 in Sachen Goldbach Group AG, Erw. 1.2.1).
3.3.2 Sachlicher Anwendungsbereich
[24] Die Best Price Rule ist auf jeden (in)direkten Erwerb von Beteiligungspapieren der Zielgesellschaft und auf jeden Erwerb von Beteiligungsderivaten und auf die Angebote, die sich auf solche beziehen, anwendbar, unabhängig davon, ob die Beteiligungspapiere oder Beteiligungsderivate kotiert oder vom Angebot erfasst sind (Art. 10 Abs. 1 und 2 UEV; Verfügung 730/01 vom 28. Mai 2019 in Sachen Alpiq Holding AG, Erw. 3.4, Rn 25; Verfügung 678/02 vom 28. Februar 2018 in Sachen Goldbach Group AG, Erw. 1.2.3; Verfügung 638/01 vom 9. September 2016 in Sachen Charles Vögele Holding AG, Erw. 4.2.1.1; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Sachen Quadrant AG vom 30. November 2010, Erw. 12.1; Tatjana Linder, Die Best Price Rule im schweizerischen Übernahmerecht unter besonderer Berücksichtigung der Cross Conditionality, Zürich/Basel/Genf 2010, S. 118; Urs Schenker, Schweizerisches Übernahmerecht, Bern 2009, S. 274).
3.3.3 Zeitlicher Anwendungsbereich
[25] In zeitlicher Hinsicht gilt die Best Price Rule vom Zeitpunkt der Veröffentlichung des Angebotsprospekts oder der Voranmeldung bis sechs Monate nach Ablauf der Nachfrist (Art. 8 Abs. 3 lit. d i.V.m. Art. 10 Abs. 1 UEV).
[26] Letztere Frist von sechs Monaten soll sicherstellen, dass die Angebotsempfänger preislich gleich behandelt werden. Zudem sollen dadurch Umgehungen der Best Price Rule verhindert werden. Ohne eine solche Frist könnte ein Aktionär nämlich den Ablauf der Nachfrist abwarten, um eine Prämie zu verlangen, die ihm im Rahmen des Angebots nicht bezahlt werden könnte (Verfügung 730/01 vom 28. Mai 2019 in Sachen Alpiq Holding AG, Rn 20). Um Umgehungen zu verhindern, kann die UEK die Best Price Rule auch auf einen Kauf anwenden, der erst nach Ablauf der Frist von sechs Monaten erfolgt. Das ist etwa der Fall, wenn der Anbieter nachweislich bereits im Zeitpunkt des Angebotes die Absicht hatte, später weitere Aktien zu einem höheren als dem Angebotspreis zu erwerben (Verfügung 730/01 vom 28. Mai 2019 in Sachen Alpiq Holding AG, Rn 20; Empfehlung 170/02 vom 28. August 2003 in Sachen Bon Appétit Group AG, Erw. 4.1).
[27] Der zeitliche Anwendungsbereich der Best Price Rule knüpft grundsätzlich an den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses der in Frage stehenden Transaktion an. Die Best Price Rule ist dabei nicht auf Transaktionen anwendbar, deren Verpflichtungsgeschäft vor der Veröffentlichung des Angebotsprospekts oder der Voranmeldung stattgefunden hat. Solche Transaktionen können somit allenfalls unter die Bestimmungen über den vorausgegangenen Erwerb fallen, sofern die dafür massgeblichen Voraussetzungen erfüllt sind. Wann die betreffende Transaktion vollzogen wird (Verfügungsgeschäft), spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Der Vollzug kann auch ausserhalb der Geltungsdauer der Best Price Rule erfolgen (Verfügung 730/01 vom 28. Mai 2019 in Sachen Alpiq Holding AG, Rn 21; Verfügung 678/02 vom 28. Februar 2018 in Sachen Goldbach Group AG, Rn 8).
[28] Von obigem Grundsatz ausgenommen sind jedoch die so genannten gekoppelten Gesamttransaktionen, bei welchen die Best Price Rule ausnahmsweise Anwendung auf vorausgegangen Erwerb findet, um allfällige Umgehungen der Best Price Rule zu vermeiden. Als solche gelten Transaktionen, die zwar vor der Veröffentlichung der Voranmeldung oder des Angebots abgeschlossen werden, die aber durch eine (aufschiebende oder auflösende) Bedingung an das Zustandekommen des Angebots oder an dessen Erfolg geknüpft sind (Verfügung 730/01 vom 28. Mai 2019 in Sachen Alpiq Holding AG, Rn 22). Im Rahmen der Empfehlung 329/01 vom 22. August 2007 in Sachen Unilabs S.A., Erw. 2.5 wurde festgehalten, dass eine gekoppelte Gesamttransaktion auch im umgekehrten Fall anzunehmen ist, in dem das Angebot vom Vollzug des Aktienkaufvertrags abhängig gemacht wird.
[29] Das Bundesverwaltungsgericht hielt in dieser Hinsicht Folgendes fest (Urteil der Abteilung II B-5272/2009 des BVGer vom 30. November 2010 in Sachen Quadrant AG, Erw. 12.1):
«Nach der Praxis der Übernahmekommission sind davon gekoppelte Gesamttransaktionen ausgenommen, d.h. Transaktionen, bei denen das Verpflichtungsgeschäft in die für den vorausgegangenen Erwerb massgebliche Zeit fällt, aber an die Bedingung geknüpft ist, dass das öffentliche Angebot zustande kommt. Derartige Transaktionen fallen nach dieser Praxis ebenfalls unter die Best Price Rule […].»
[30] Ausserdem wird nach der Praxis der UEK eine Verknüpfung eines vorausgegangenen Erwerbs mit dem Angebot – und damit eine grundsätzlich unter die Best Price Rule fallende gekoppelte Gesamttransaktion – angenommen, «wenn der Kaufvertrag und das öffentliche Angebot denselben Bedingungen unterworfen sind […].» (Verfügung 476/01 vom 19. April 2011 in Sachen Schulthess Group AG, Erw. 4.2, Rn 13). Die Best Price Rule gelangt diesfalls (ausnahmsweise) nur dann nicht zur Anwendung, wenn es sich um sog. notwendige oder unerlässliche Bedingungen handelt, ohne die der Kauf bzw. das Angebot nicht (oder nur mit nicht zumutbaren Auflagen und Bedingungen) vollzogen werden darf (z.B. Bedingungen, bei denen es um den Erhalt der erforderlichen Bewilligungen durch eine zuständige Behörde oder um Registereintragungen bzw. darum geht, dass kein behördliches oder gerichtliches Verbot des Vollzugs des Angebots vorliegt oder die Behörde der Anbieterin keine Auflagen oder Bedingungen auferlegt, die zu wesentlichen nachteiligen Auswirkungen führen etc.; in einem solchen Fall wiederum gilt trotz parallelem Verlauf von Zustandekommen des Angebots und Vollzug des vorausgegangenen Erwerbs die Mindestpreisregel [Verfügung 495/03 vom 28. Februar 2012 in Sachen Uster Technologies AG, Erw. 5.3, Rn 13; Verfügung 476/01 vom 19. April 2011 in Sachen Schulthess Group AG, Erw. 4.2, Rn 12 ff.; Empfehlung 329/01 vom 22. August 2007 in Sachen Unilabs A., Erw. 2.4 f. und Erw. 2.8]).
3.4 Ausführungen der Parteien
[31] Gemäss den Ausführungen der Aktionärsgruppe können die Verkäufer «zwar vermuten, dass die Altana AG ein Übernahmeangebot unterbreiten wird.» Ob und wann ein solches erfolgen wird, wisse die Aktionärsgruppe jedoch nicht. Selbst für den Fall, dass sie das wüsste, könnte sie das Angebot nicht beeinflussen, «weil dies letztlich ein Entscheid der Altana AG ist» (act. 1/1, Rn 16).
[32] Laut den Angaben von Altana in deren Stellungnahme 1 sind der Aktienkaufvertrag und das beabsichtigte Kaufangebot keine gekoppelte Gesamttransaktion. Demgemäss werde der Aktienkaufvertrag «vollkommen unabhängig von einem öffentlichen Kaufangebot abgeschlossen und vor allem auch unabhängig vollzogen» (act. 5/1, Rn 12). Die Vereinbarung betreffend die Verteilung des Verkaufserlöses fällt nach Ansicht von Altana zudem nicht in den sachlichen Anwendungsbereich der Best Price Rule (act. 5/1, Rn 13). Die «rein innerhalb der Aktionärsgruppe abgewickelte ungleiche Verteilung des gesamten Verkaufserlöses» hat dieser Ansicht nach «keinerlei Auswirkungen auf das Angebot resp. die Höhe des Angebotspreises und verstösst insbesondere auch nicht gegen den Regelungszweck der Best Price Rule» (act. 5/1, Rn 14). Auch die Verteilung des Verkaufserlöses könne in keiner Weise Altana und / oder Von Roll zugerechnet werden (act. 5/1, Rn 15).
[33] Von Roll führt in deren Stellungnahme 2 aus, dass die Aktionärsgruppe dem CEO und dem CFO «für den Fall eines erfolgreichen Turnarounds eine Erfolgsbeteiligung eingeräumt [hat], die dann honoriert werden soll, wenn die Aktionärsgruppe ihre Anteile verkauft.» Der Gesamtkaufpreis wird «in Erfüllung dieser Verpflichtung» verteilt und «wäre unabhängig vom Verkauf der Aktien des CEO und des CFO geschuldet.» Auch nach Auffassung der Von Roll gemäss deren Stellungnahme 2 liegt keine gekoppelte Gesamttransaktion vor (act. 6/1, S. 2).
3.5 Würdigung und Fazit
3.5.1 Würdigung
[34] Vor dem Hintergrund der Ausführungen in Erw. 3.3.1 sind vom persönlichen Anwendungsbereich der Best Price Rule im vorliegenden Fall konkret Altana bzw. eine von dieser eingesetzte Anbieterin, die Zielgesellschaft sowie die Aktionärsgruppe erfasst. Da sich die Best Price Rule auf jeden direkten oder indirekten Erwerb von Beteiligungspapieren der Zielgesellschaft bezieht und die Aktionärsgruppe mit Blick auf solche Erwerbsgeschäfte wie gezeigt in gemeinsamer Absprache mit der Anbieterin handelt, ist in casu auch der sachliche Anwendungsbereich der Best Price Rule erfüllt (vgl. Erw. 3.3.2).
[35] Soweit ersichtlich ist weder der Aktienkaufvertrag zwischen der Aktionärsgruppe und Altana noch die auf den Aktienkaufvertrag abstellende Vereinbarung betreffend Verteilung des Verkaufserlöses durch eine Bedingung an das Zustandekommen des Angebots von Altana an die Aktionäre der Von Roll oder an dessen Erfolg geknüpft (im Sinne der in Rn [28] erwähnten Praxis der UEK).
[36] Geprüft werden muss im Folgenden noch, ob der Aktienkaufvertrag (und damit einhergehend auch die auf diesen abstellende Vereinbarung betreffend Verteilung des Verkaufserlöses) und das geplante öffentliche Angebot im Wesentlichen denselben Bedingungen im Sinne der in Rn [30] erwähnten Praxis der UEK unterworfen sind.
[37] Der Aktienkaufvertrag enthält zusammenfassend folgende Bedingungen (bzw. [Gewährleistungs-]Ansprüche und / oder Verkäuferpflichten):
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- | «Keine Dividende, Kapitalherabsetzung oder andere Ausschüttung beschlossen oder genehmigt; |
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- | Keinen Erwerb, keine Spaltung, keine Vermögensübertragung oder sonstige Veräusserung von Betriebsteilen, (a) jeweils einzeln oder insgesamt mit einem Wert oder zu einem Preis von mehr als CHF 7.84 Mio. (entsprechend 3% der konsolidierten Bilanzsumme der Gesellschaft per 31. Dezember 2022), oder (b) welche zu einer Reduktion der Ertragskraft der Gesellschaft von mehr als 3% führen, beschlossen oder genehmigt; |
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- | Keine Fusion oder ordentliche oder bedingte Erhöhung des Aktienkapitals der Gesellschaft, oder einer solchen unter einem Kapitalband, beschlossen oder genehmigt; |
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- | Keine Massnahme beschlossen, die ohne Zustimmung der Generalversammlung eine unzulässige Abwehrmassnahme nach Art. 132 Abs. 2 FinfraG darstellen würde (gleichgültig, ob zu diesem Zeitpunkt ein öffentliches Angebot unterbreitet wurde und somit Art. 132 Abs. 2 FinfraG anwendbar ist oder nicht); und |
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- | Nicht beschlossen, die Inhaberaktien der Gesellschaft in Namenaktien umzuwandeln oder eine Stimmrechtsbeschränkung einzuführen.» |
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[38] Im Entwurf der Voranmeldung des Angebots von Altana sind folgende Angebotsbedingungen vorgesehen (act. 7):
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[39] Die Gegenüberstellung der Bedingungen des Aktienkaufvertrags und der in der Voranmeldung enthaltenen Angebotsbedingungen zeigt zum einen, dass der Aktienkaufvertrag und das öffentliche Kaufangebot im Wesentlichen denselben Bedingungen unterworfen sind. Der Vollzug des Aktienkaufvertrages und das Zustandekommen des Angebotes erfolgen damit grundsätzlich im Gleichlauf bzw. parallel. Zum anderen handelt es sich bei den erwähnten Bedingungen nicht ausschliesslich um sog. notwendige bzw. unerlässliche Bedingungen, ohne deren Eintritt die Anbieterin den Aktienkauf gar nicht (oder nur mit nicht zumutbaren Auflagen oder Bedingungen) vollziehen «darf» (Empfehlung 329/01 vom 22. August 2007 in Sachen Unilabs S.A., Erw. 2.8: um sog. notwendige bzw. unerlässliche Bedingungen handelt es sich vorliegend lediglich bei den Genehmigungen / Freistellungsbescheinigungen der relevanten [Wettbewerbs-]Behörden sowie beim Ausbleiben von Urteilen, Verfügungen und anderen behördlichen Anordnungen, welche den Aktienkaufvertrag oder das Angebot verbieten oder für unzulässig erklären).
[40] Damit ist erstellt, dass es sich vorliegend um eine im zeitlichen Anwendungsbereich der Best Price Rule liegende gekoppelte Gesamttransaktion im Sinne der erwähnten Praxis handelt. Bei einer derartigen Koppelung, wenn also ein Aktienkaufvertrag und ein öffentliches Kaufangebot über gleichlautende Bedingungen miteinander verknüpft werden, wird dem verkaufenden Hauptaktionär und den Minderheitsaktionären ökonomisch betrachtet dasselbe Kaufangebot unterbreitet, weshalb der Grundsatz der Gleichbehandlung und damit auch die Best Price Rule auf dieses Kaufangebot Anwendung finden muss (vgl. Empfehlung 329/01 vom 22. August 2007 in Sachen Unilabs S.A. 2.5).
[41] Da der Anwendungsbereich der Best Price Rule vorliegend sowohl in persönlicher und sachlicher Hinsicht als auch in zeitlicher Hinsicht erfüllt ist, findet die Best Price Rule auf den Erwerb des durch die Aktionärsgruppe gehaltenen Kontrollpaketes durch Altana (bzw. eine von letzterer eingesetzte [Tochter-]Gesellschaft) sowie auf allfällige auf Basis der Vereinbarung betreffend Verteilung des Verkaufserlöses ausgerichtete Ausgleichzahlungen (d.h. Wertzuwachsboni und Managementerfolgsbeteiligungen, vgl. Sachverhalt lit. F) Anwendung.
[42] Wenn der CEO und der CFO aufgrund der im Rahmen der Vereinbarung betreffend Verteilung des Verkaufserlöses getroffenen Abmachungen für jede veräusserte Von Roll-Aktie nun im Ergebnis CHF 2.5684 bzw. CHF 2.1727 erhalten sollen (vgl. dazu die in Sachverhalt lit. F aufgeführte Tabelle) und ihnen damit mehr als das Dreifache (Faktor 3.15 bzw. 3.89) dessen geboten wird, was die übrigen Angebotsempfänger für ihre Von Roll-Aktien erhalten sollen, so liegt damit ein Verstoss gegen die Best Price Rule vor. Die Wertzuwachsboni sowie Managementerfolgsbeteiligungen, welche dem CEO und dem CFO über die Aktionärsgruppe zusätzlich zum eigentlichen Angebotspreis ausgerichtet werden sollen, müssen in die Kalkulation des für die Best Price Rule massgeblichen Erwerbspreises miteinfliessen. Dasselbe gilt für allfällige geldwerte Nebenleistungen, welche die Anbieterin und die mit dieser in gemeinsamer Absprache handelnden Personen den Aktionären neben dem Angebotspreis für Beteiligungspapiere der Zielgesellschaft zukommen lassen.
3.5.2 Fazit
[43] In Abweisung des Eventualantrags Ziff. 2 wird somit festgestellt, dass durch den Vollzug des der UEK vorgelegten Entwurfs des Aktienkaufvertrages mit Altana bzw. einer von dieser eingesetzten (Tochter-)Gesellschaft und des der UEK vorgelegten Entwurfs der Vereinbarung betreffend Verteilung des Verkaufserlöses die Best Price Rule verletzt würde.
4. Publikation (Antrag Ziff. 3)
[44] Wird bei der UEK ein Gesuch, beispielsweise für die Gewährung einer Ausnahme von der Angebotspflicht, eingereicht, so eröffnet die UEK ein Verfahren und lädt die Parteien zur Abgabe einer Stellungnahme ein (Art. 61 Abs. 1 UEV). Vor der Eröffnung der Verfügung kann die Zielgesellschaft eine Stellungnahme ihres Verwaltungsrates vorlegen, die sie gleichzeitig mit der Verfügung der UEK veröffentlichen möchte (Art. 61 Abs. 1bis UEV). Die Zielgesellschaft veröffentlicht sodann (a) die allfällige Stellungnahme ihres Verwaltungsrates, (b) das Dispositiv der Verfügung der UEK und (c) den Hinweis, innert welcher Frist und unter welchen Bedingungen ein qualifizierter Aktionär Einsprache gegen die Verfügung der UEK erheben kann (Art. 61 Abs. 3 UEV).
[45] Die Art. 6 und 7 UEV sind auf diese Veröffentlichung anwendbar (Art. 61 Abs. 4 UEV).
[46] Die vorliegende Verfügung wird in Gutheissung von Antrag Ziff. 3 frühestens am Tag der Veröffentlichung der Voranmeldung betreffend ein etwaiges öffentliches Übernahmeangebot von Altana bzw. einer von dieser eingesetzten Anbieterin an die Aktionäre der Von Roll oder einer diesbezüglichen Verfügung der UEK auf der Website der Übernahmekommission publiziert (Art. 65 Abs. 1 UEV).
[47] Von Roll veröffentlicht in Übereinstimmung mit Art. 6 und 7 UEV das Dispositiv der vorliegenden Verfügung sowie den Hinweis, innert welcher Frist und zu welchen Bedingungen eine qualifizierte Aktionärin oder ein qualifizierter Aktionär Einsprache gegen diese Verfügung erheben kann.
5. Gebühr
[48] Gemäss Art. 118 Abs. 1 Satz 1 FinfraV erhebt die UEK für Entscheide in anderen Übernahmesachen, wie beispielsweise über Gesuche betreffend eine Ausnahme von der Angebotspflicht, eine Gebühr. Die Gebühr beträgt je nach Umfang und Schwierigkeit des Falles bis zu CHF 50'000 (Art. 118 Abs. 2 FinfraV).
[49] Angesichts des Umfangs und der Schwierigkeit des vorliegend behandelten Falles wird gestützt auf Art. 118 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 FinfraV eine Gebühr von CHF 40'000 zu Lasten der Aktionärsgruppe unter solidarischer Haftung ihrer Mitglieder erhoben.
Die Übernahmekommission verfügt:
1. | In Abweisung des Hauptantrags Ziff. 1 wird festgestellt, dass Clair AG, Francine von Finck, August François von Finck und Maximilian von Finck durch den Abschluss des der Übernahmekommission vorgelegten Entwurfs des Aktienkaufvertrages betreffend den Erwerb aller von Clair AG, Francine von Finck, August François von Finck, Maximilian von Finck sowie Christian Hennerkes und Artur List gehaltenen Aktien der Von Roll Holding AG mit Altana AG (bzw. einer von dieser eingesetzten Anbieterin) mit Bezug auf ein etwaiges öffentliches Angebot für sämtliche im Publikum gehaltenen Aktien der Von Roll Holding AG in gemeinsamer Absprache handeln würden. |
2. | In Abweisung des Eventualantrags Ziff. 2 wird festgestellt, dass durch den Vollzug des der Übernahmekommission vorgelegten Entwurfs des Aktienkaufvertrages betreffend den Erwerb aller von Clair AG, Francine von Finck, August François von Finck, Maximilian von Finck sowie Christian Hennerkes und Artur List gehaltenen Aktien der Von Roll Holding AG und des der Übernahmekommission vorgelegten Entwurfs der Vereinbarung betreffend Verteilung des Verkaufserlöses die Best Price Rule verletzt würde. |
3. | Diese Verfügung wird in Gutheissung von Antrag Ziff. 3 frühestens am Tag der Veröffentlichung der Voranmeldung mit Bezug auf ein etwaiges öffentliches Angebot der Altana AG (bzw. einer von dieser eingesetzten Anbieterin) für sämtliche im Publikum gehaltenen Aktien der Von Roll Holding AG oder einer diesbezüglichen Verfügung der Übernahmekommission auf der Website der Übernahmekommission publiziert. |
4. | Von Roll Holding AG veröffentlicht in Übereinstimmung mit Art. 6 und 7 UEV das Dispositiv dieser Verfügung sowie den Hinweis, innert welcher Frist und zu welchen Bedingungen eine qualifizierte Aktionärin oder ein qualifizierter Aktionär Einsprache gegen diese Verfügung erheben kann. |
5. | Die Gebühr zu Lasten von Clair AG, Francine von Finck, August François von Finck und Maximilian von Finck beträgt unter solidarischer Haftung CHF 40'000. |
Die Präsidentin:
Mirjam Eggen
Diese Verfügung geht an die Parteien:
- | Clair AG, Francine von Finck, August François von Finck und Maximilian von Finck, vertreten durch Dr. Matthias Courvoisier, Baker McKenzie Switzerland (GVA) SA; |
- | Altana AG, vertreten durch Dr. Dieter Dubs und Dr. Urs Kägi, Bär & Karrer AG; |
- | Von Roll Holding AG, vertreten durch Dr. Beat Brechbühl und Dr. Marc Hanslin, Kellerhals Carrard Basel KlG. |
Beschwerde (Art. 140 des Finanzmarktinfrastrukturgesetzes, SR 958.1):
Diese Verfügung kann innert einer Frist von fünf Börsentagen bei der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht FINMA, Laupenstrasse 27, CH-3003 Bern, angefochten werden. Die Anfechtung hat schriftlich zu erfolgen und ist zu begründen. Die Beschwerde hat den Erfordernissen von Art. 52 VwVG zu genügen.
Einsprache (Art. 58 der Übernahmeverordnung, SR 954.195.1):
Ein Aktionär, welcher eine Beteiligung von mindestens drei Prozent der Stimmrechte an der Zielgesellschaft, ob ausübbar oder nicht, nachweist (qualifizierter Aktionär, Art. 56 UEV) und am Verfahren bisher nicht teilgenommen hat, kann gegen die vorliegende Verfügung Einsprache erheben. Die Einsprache ist bei der Übernahmekommission innerhalb von fünf Börsentagen nach der Veröffentlichung der vorliegenden Verfügung einzureichen. Sie muss einen Antrag und eine summarische Begründung sowie den Nachweis der Beteiligung gemäss Art. 56 Abs. 3 und 4 UEV enthalten (Art. 58 Abs. 3 UEV).