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Transaktionen

0159 - Perutil SA

Empfehlung Perutil SA vom 28. März 2003

Gesuch der Deutsche Bank AG, Frankfurt am Main (D), Deutsche Bank (Suisse) SA, Genf, und Rüd, Blass & Cie AG Bankgeschäft, Zürich, um Feststellung des Nichtbestehens einer Angebotspflicht an die Aktionäre der Perutil S.A., Panama

A.
Die Perutil SA („Perutil“) ist eine Finanzgesellschaft mit Sitz in Panama. Ihr Aktienkapital beträgt USD 25'000'000. Es ist eingeteilt in 2'500'000 Inhaberaktien mit einem Nennwert von je USD 10. Die Aktien sind im Segment SWX Local Caps der SWX Swiss Exchange kotiert.

B.
Die Rüd, Blass & Cie AG Bankgeschäft („Rüd, Blass“ oder „Bank“) ist eine Bank mit Sitz in Zürich. Sie ist Portfoliomanagerin der Perutil und verwaltet als solche auf Rechnung und Gefahr der Perutil deren Vermögenswerte, die bei der Bank liegen. Die Vermögensverwaltung basiert auf einem „Asset Management Agreement“ zwischen Rüd, Blass und Perutil sowie einer Verwaltungsvollmacht, welche die Bank mit Perutil abgeschlossen hat.

C.
Rüd, Blass hielt am 5. Februar 2003 direkt 112'381 Perutil Aktien, entsprechend 4.5% der Stimmrechte der Gesellschaft. Weitere 1'867'832 Aktien (74.7% der Stimmrechte) lagen per 5. Februar 2003 in Kundendepots bei der Bank. Die Inhaber dieser Depots haben entweder eine Verwaltungsvollmacht unterzeichnet oder der Bank einen Vermögensverwaltungsauftrag erteilt.

D.
Am 5. Februar 2003 haben die Deutsche Bank AG und die Deutsche Bank (Suisse) SA (beide zusammen „Deutsche Bank“) als Käuferinnen einerseits und die Zürich Financial Services („ZFS“) als Verkäuferin andererseits einen Aktienkaufvertrag über den Erwerb aller Aktien der Rüd, Blass unterzeichnet. Der Kaufvertrag ist noch nicht vollzogen.

E.
Mit Gesuch vom 28. Februar 2003 beantragten die Deutsche Bank und Rüd, Blass der Übernahmekommission, es sei festzustellen, dass Rüd, Blass vor dem 5. Februar 2003 nicht verpflichtet gewesen sei, ein öffentliches Übernahmeangebot für alle Aktien der Perutil zu unterbreiten, und es sei festzustellen, dass die Deutsche Bank und Rüd, Blass im Falle eines Erwerbs der Aktien der Rüd, Blass durch Deutsche Bank nicht zur Unterbreitung ein öffentliches Übernahmeangebot für alle Aktien der Perutil verpflichtet sind.

F.
Zur Prüfung dieser Angelegenheit wurde ein Ausschuss bestehend aus Herrn Ulrich Oppikofer (Präsident), Frau Claire Huguenin und Herrn Peter P. Hügle gebildet.


Die Übernahmekommission zieht in Erwägung:

1. Ausgangslage

Im vorliegenden Fall ist zunächst zu prüfen, ob bezüglich Perutil die Regeln des BEHG über die öffentlichen Kaufangebote zur Anwendung kommen. Ist dies der Fall, stellt sich die Frage, ob Rüd, Blass verpflichtet gewesen wäre, vor dem 5. Februar 2003 ein öffentliches Kaufangebot für alle Aktien der Perutil SA zu unterbreiten bzw. die Deutsche Bank im Falle des Erwerbs der Rüd, Blass zu einem Kaufangebot verpflichtet ist. Davon wäre auszugehen, wenn die Stimmrechte an Perutil derjenigen Aktionäre, die ihre Titel in einem Depot bei Rüd, Blass aufbewahrt haben, aufgrund von Art. 26 BEHV-EBK Rüd, Blass – bzw. nach dem Vollzug des Kaufvertrags vom 5. Februar 2003 der Deutschen Bank – zuzurechnen wären.

2. Geltungsbereich des Schweizerischen Übernahmerechts

2.1 Gemäss Art. 22 Abs. 1 BEHG gelten die Bestimmungen über die öffentlichen Kaufangebote für Beteiligungen an schweizerischen Gesellschaften, die mindestens teilweise an einer Börse in der Schweiz kotiert sind.

2.2 Der in Art. 22 Abs. 1 BEHG definierte Geltungsbereich des Übernahmerechts erfasst alle "schweizerischen" Zielgesellschaften. Die Übernahmekommission sieht grundsätzlich keine Veranlassung, bei der Auslegung dieses Begriffs von der Inkorporationstheorie abzuweichen.

Die EBK hielt in ihrer Verfügung vom 30. September 1999 in Sachen TAG Heuer International SA / LVMH Moët Hennessy Louis Vuitton fest, dass nicht allein an die im Internationalen Privatrecht geltende Inkorporationstheorie angeknüpft werden könne, sondern auch zu prüfen sei, ob anstelle der rechtlichen Konstruktion als massgebendes Kriterium auf die tatsächliche Geschäftstätigkeit bzw. den effektiven Sitz der Zielgesellschaft abzustellen sei. Im oben erwähnten Fall bejahte die EBK das Bestehen eines faktischen Sitzes der Zielgesellschaft in der Schweiz und erklärte das Schweizerische Übernahmerecht für anwendbar.

In einem Entscheid vom 10. Februar 2003 stellte die Übernahmekommission bezüglich der Firma Hilti AG, eine Gesellschaft mit Sitz in Liechtenstein, fest, dass ausgeschlossen werden könne, dass Hilti faktisch ihren Sitz in der Schweiz habe, da sich sowohl die Geschäftsführung als auch die zentralen operativen Tätigkeiten der Gesellschaft im Fürstentum Liechtenstein befinden (vgl. Empfehlung in Sachen Hilti AG vom 10. Februar 2003, E. 1.2).

2.3 Beim Entscheid, ob eine Gesellschaft als schweizerische im Sinne von Art. 22 Abs. 1 BEHG gilt, ist eine Gesamtwürdigung aller Tatsachen, die für und gegen die Annahme eines faktischen Sitzes in der Schweiz sprechen, vorzunehmen. Dabei rechtfertigt sich die Annahme eines faktischen Sitzes – nicht zuletzt aus Gründen der Rechtssicherheit – nur dann, wenn klare Verhältnisse vorliegen, d.h. wenn die für einen Sitz in der Schweiz sprechenden Elemente sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht deutlich überwiegen.

Nachfolgend ist zu prüfen, ob Perutil allenfalls ihren faktischen Sitz in der Schweiz hat und deshalb der fünfte Abschnitt des BEHG über die öffentlichen Kaufangebote auf die Gesellschaft anwendbar ist.

2.4 Den der Übernahmekommission zu den Akten gereichten Unterlagen ist zu entnehmen, dass verschiedene Verbindungen der Perutil zur Schweiz bestehen. Die Gesellschaft wurde 1959 von argentinischen Bürgern mit schweizerischen Wurzeln gegründet. Die Titel sind in der Schweiz kotiert. Die schweizerische Rüd, Blass ist zudem als Vermögensverwalterin der Gesellschaft tätig. Personelle Verknüpfungen von Verwaltungsräten oder Mitarbeitern von Perutil mit Rüd, Blass bestehen allerdings nicht.

Weiter ist zu beachten, dass der Vizepräsident sowie ein weiteres Mitglied des Verwaltungsrats ihren Wohnsitz in der Schweiz haben. Das Verwaltungsratsmitglied nimmt in der Schweiz Investor Relations-Funktionen für die Gesellschaft wahr.

Andererseits existieren unübersehbar auch viele und insbesondere wesentliche Beziehungen der Gesellschaft zu Panama. Perutil wurde, wie erwähnt, in Panama gegründet und ist dort auch inkorporiert. Das Gesellschaftskapital ist in USD ausgegeben, der offiziellen Währung in Panama. Ebenso erfolgt die Rechnungslegung in USD. Der Präsident des Verwaltungsrats sowie die Mehrheit der Verwaltungsratsmitglieder haben ihren Wohnsitz in Panama bzw. Lateinamerika. Die Verwaltungsratssitzungen und die Generalversammlungen finden in Panama statt; Einladungen zu Generalversammlung der Gesellschaft werden in der Schweiz nicht veröffentlicht. Die wesentlichen Entscheide, insbesondere die Auswahl des Portfoliomanagers, werden durch den Verwaltungsrat in Panama getroffen. Ebenso erfolgt die administrative Führung der Gesellschaft in Panama.

Insgesamt betrachtet, ist deshalb davon auszugehen, dass Perutil nicht nur ihren formellen, sondern auch ihren faktischen Sitz in Panama hat. Aus diesem Grund ist Perutil nicht als schweizerische Gesellschaft im Sinne von Art. 22 Abs. 1 BEHG zu qualifizieren. Folglich untersteht die Gesellschaft auch nicht dem fünften Abschnitt des BEHG über die öffentlichen Kaufangebote.

3. Frage einer allfälligen Angebotspflicht

Nachdem festgestellt ist, dass Perutil nicht den Bestimmungen über öffentliche Kaufangebote unterworfen ist, erübrigen sich Ausführungen zur Frage einer allfälligen Angebotspflicht der Rüd, Blass oder der Deutschen Bank aufgrund einer möglichen Zurechnung von Stimmrechten gemäss den Ausführungen in Ziff. 1 dieser Empfehlung.

4. Publikation

Die vorliegende Empfehlung wird am 31. März 2003 nach ihrer Eröffnung an die Gesuchsteller gestützt auf Art. 23 Abs. 3 BEHG auf der Website der Übernahmekommission veröffentlicht.

5. Gebühr

In Anwendung von Art. 23 Abs. 5 BEHG und Art. 62 Abs. 6 UEV-UEK erhebt die Übernahmekommission für die Prüfung der Anfrage eine Gebühr. Der Ausschuss setzt die Gebühr auf CHF 20'000 fest.


Gestützt auf diese Erwägungen erlässt die Übernahmekommission die folgende Empfehlung:

  1. Die an der SWX Swiss Exchange kotierte Perutil SA, Panama, untersteht nicht den im Abschnitt 5 des Bundesgesetzes über die Börsen und den Effektenhandel vom 24. März 1995 enthaltenen Bestimmungen über öffentliche Kaufangebote.
  2. Diese Empfehlung wird am 31. März 2003 nach ihrer Eröffnung an die Gesuchsteller auf der Website der Übernahmekommission veröffentlicht.
  3. Die Gebühr zu Lasten der Deutsche Bank AG, Frankfurt am Main (D), Deutsche Bank (Suisse) SA, Genf, sowie der Rüd, Blass & Cie AG Bankgeschäft, Zürich, beträgt CHF 20'000. Die Gesuchsteller haften hierfür solidarisch.


Der Präsident des Ausschusses:

Ulrich Oppikofer

Die Parteien können diese Empfehlung ablehnen, indem sie dies der Übernahmekommission spätestens fünf Börsentage nach Empfang der Empfehlung schriftlich melden. Die Übernahmekommission kann diese Frist verlängern. Sie beginnt bei Benachrichtigung per Telefax zu laufen. Eine Empfehlung, die nicht in der Frist von fünf Börsentagen abgelehnt wird, gilt als von den Parteien genehmigt. Wenn eine Empfehlung abgelehnt, nicht fristgerecht erfüllt oder wenn eine genehmigte Empfehlung missachtet wird, überweist die Übernahmekommission die Sache an die Bankenkommission zur Eröffnung eines Verwaltungsverfahrens.


Mitteilung an:

  • Deutsche Bank AG, Frankfurt am Main (D), Deutsche Bank (Suisse) SA, Genf, Rüd, Blass & Cie AG Bankgeschäft, Zürich (durch ihre Vertreter)
  • die EBK.